: „Hier irrt der Kommissar“
■ Interview mit der Europa-Abgeordneten Dagmar Roth-Behrendt
Dagmar Roth-Behrendt kümmert sich für die SPD im Europaparlament um Verbraucherpolitik.
taz: EU-Kommissar Monti will die Bundesregierung verklagen, weil die zuwenig Pestizide in Kinderbrei zuläßt. Ist das Verbraucherschutz in Europa?
Dagmar Roth-Behrendt: Halt, da gilt es zwei Dinge auseinanderzuhalten. Erstens hält die Bundesregierung gerade im Umweltbereich immer öfter EU-Recht nicht ein. Dagegen muß Herr Monti, der für den Binnenmarkt zuständig ist, einschreiten. Das kann ich verstehen. In diesem konkreten Fall aber irrt Herr Monti – auch juristisch.
Wieso?
Es gibt bisher nur eine EU- Richtlinie zu Babynahrung ohne Grenzwerte. Monti meint nun, daß in dieser Situation das EU-Recht ein Mitgliedsland zwingt, alles hineinzulassen, was in anderen EU- Ländern zugelassen ist. Aber: solange die EU keine Grenzwerte vorsieht, kann die Bundesregierung nach Artikel 100a die Grenzen aus Gründen des Gesundheitsschutzes durchaus dichtmachen.
Die Babybrei-Geschichte ist doch ein Beispiel dafür, daß die Industrie in jedem der 15 EU- Staaten versuchen kann, ein zweifelhaftes Produkt auf den Markt zu bekommen, um es dann überall hin exportieren zu dürfen. Der Verbraucherschutz bleibt auf der Strecke.
Unsinn. Wir haben fast nichts mehr, was auf dem Binnenmarkt nicht geregelt ist. Die Babynahrung zeigt nur eine zufällige Regelungslücke.
Bei BSE gab's keine Regelungslücke, nur eine Kontrollücke.
Das ist ein Unterschied.
Für den Konsumenten aber nicht.
Ich kenne jedenfalls nur wenige Beispiele des freien Warenverkehrs, die nicht geregelt sind. Im konkreten Fall müssen Wissenschaftler jetzt entscheiden, wieviel von einem Schadstoff können Kinder zu sich nehmen.
Wer sind diese Wissenschaftler?
Es gibt zwei Ausschüsse für Nahrungsmittel, in einem sitzen von den EU-Regierungen benannte Wissenschaftler, im anderen die von der Kommission benannten unabhängigen Experten.
Diese Art Ausschuß hat sich bei BSE nicht mit Ruhm bekleckert.
Sagen wir es so: Die waren früher nicht schlecht. Im BSE-Fall hatte die Kommission einen Ausschuß zusammengestellt, der zu drei Vierteln aus Briten bestand. Das war eine blöde Entscheidung.
Und wer kontrolliert diese Wissenschaftler?
Das Europaparlament kann das nicht, denn bisher sind diese Ausschüsse nicht verpflichtet, Protokolle zu führen und Minderheitsvoten darzulegen.
Und das soll so bleiben?
Den Umgang mit den Wissenschaftler-Ausschüssen hat das Parlament immer kritisiert. Es ist nicht transparent und nicht demokratisch kontrollierbar, weil es die Protokolle nicht gibt, und weil das Parlament so nicht wissen kann, wer, wo, wie mit wem berät, nicht einmal, wie die Tagesordnungen aussehen. Interview: Hermann-J. Tenhagen
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