Zementierte Rollen

■ Frauen fordern seit langem frauengerechtes Bauen. Meist dürfen sie sich aber nur an Modellprojekten abarbeiten

„Was Männer eine ,Schlafstadt‘ nennen, ist für Frauen der alltägliche Wohn- und Lebensraum“, beschreibt die Dortmunder Professorin Ruth Becker die Misere. Männer fahren zur Arbeit und kehren oft erst am Abend in ihr Wohnviertel zurück. Frauen, Kinder und ältere Menschen dagegen verleben hier ihren Alltag — in den Siedlungen mit unzureichender Infrastruktur. Ruth Becker fordert daher seit Jahren, bewußter im Interesse von Frauen zu bauen, und schließt daraus: Frauen sollten von Anbeginn Einfluß auf städtebauliche Entwicklungen haben.

Bei allem geht es nicht um weibliche Ästhetik. Schon lange geht es auch nicht mehr nur um Lampen in der angstmachenden Unterführung. Die Planerinnenbewegung, meint Tina Klingberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Lanschaftsplanung der TU, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewaltig gemausert. Was aus Überlegungen heraus begann, Büros frauenfreundlicher aufzubauen, um zum Beispiel die Kinder mit zur Arbeit nehmen zu können, entwickelte sich über Wohnumfeldgestaltung bis hin zu soziologischer Grundlagenarbeit.

Doch planen oder bauen Frauen wirklich anders? Stadtplanerin Ulla Schreiber, die als einzige neben 38 männlichen Kollegen auserkoren wurde, in Linz an einem Modellprojekt für den sozialen Wohnungsbau mitzuarbeiten, kann von den „Höhenflügen der Stararchitekten“ ein Lied singen. Ohne ihr Zutun, schätzt Frau Schreiber, würde es in der „Solar City Linz“ vor allem eines geben: jede Menge Parkplätze. Dort, wo vor allem Männer planten, werde sich noch immer in erster Linie am klassischen Modell der Familiensoziologie orientiert, meint Gerlinde Mack vom Institut für Stadtentwicklung. Doch der Familienhaushalt habe seine dominierende Stellung verloren: Alleinerziehende, aber auch junge Frauen, die heutzutage früher aus dem Elternhaus drängen und, da Männer im Durchschnitt eher sterben, viele alte Frauen sind heute die Realität.

Die Versuche von Architektinnen und Planerinnen, sich Gehör zu verschaffen, sind dennoch noch selten von Erfolg gekrönt. Nach wie vor werden etwa Sozialwohnungen gebaut, die sich offensichtlich an den Bedürfnissen eines Ehepaares orientieren, so Waltraud Vogler von der Stadtteilinitiative alleinerziehende Frauen München. „Kleines Schlafzimmer, großes Wohn-/Eßzimmer, das häufig Durchgangszimmer zur Küche ist.“ Wohnen Alleinerziehende in einer solchen Wohnung, überlassen sie dem Kind das Schlafzimmer und begnügen sich selbst mit dem Zimmer, daß ein Privatleben jenseits des Mutterseins genaugenommen nicht zuläßt.

Um zu zeigen, was möglich ist, bleiben oftmals nur die sogenannten Modellversuche. Die Internationale Bauausstellung (IBA) 1986 war fast schon zu Ende — da wurde Ausländern und Frauen in Berlin noch schnell ein Fleckchen zur Verfügung gestellt. Entstanden ist dann das spitze Wohnhaus an der Dessauer Straße, gegenüber vom Gropius-Bau. Die Toparchitektin Zaha Hadid, aber auch Christiane Jachmann und Myra Wahrhaftig machten sich hier einen Namen. Der aus der IBA Emscher Park in Bergkamen hervorgegangene Wohnpark ist seit 1993 bewohnt. Auch die „Weiberwirtschaft“ in Berlin ist mittlerweile als Frauengewerbezentrum weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus bekannt.

Doch eigentlich, konstatiert Tina Klingberg, gehe es bei Stadtentwicklung um mehr als nur um Modellprojekte. „Dazu muß allerdings an politisch verantwortlicher Stelle auch jemand sitzen, der sich der Problematik stellt.“ In Hessen gibt es seit 1996 eine landesweit verbindliche frauenspezifische Bauleitplanung. „Sind Kinderspielplätze von überallher einsehbar?“ „Sind Einkaufsmöglichkeiten auch zu Fuß innerhalb von zehn Minuten zu erreichen.“ So und ähnlich klingen die Fragen, denen sich dort jeder Bauherr stellen muß. Ziel ist eine kleinräumige Mischung von Wohnen, Arbeit, Versorgung und Erholung. Daß es dabei nicht nur um Frauenbelange geht, liegt in der Natur der Dinge.

Viele Planerinnen und Architektinnen aus den neuen Bundesländern wehren sich allerdings dagegen, ausschließlich Probleme von Frauen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen und „mit hohem baulichen Aufwand ausgleichen zu wollen, wo die Gesellschaft versagt“, wie es die Architektin, ehemalige Baustadträtin von Pankow und heutige Bauamtsleiterin im brandenburgisches Zehndenick, Claudia Nier, ausdrückt. Eine Schule in Wohnnähe sei keine besondere Berücksichtigung frauenspezifischer Belange. Zudem gebe es oft praktische Probleme: „Ich will eine Schule in Wohnnähe errichten. Ich muß immer schauen, wo existieren dafür kommunale Grundstücke.“

Daß mit dem Anspruch, Fraueninteressen bei Stadtplanung und in der Architektur stärker zu berücksichtigen, ein in dieser Gesellschaft bestehendes Geschlechterverhältnis zementiert wird, sieht auch Tina Klingberg. Infolge kriegen Mädchen Kuschelecken eingerichtet, obwohl sie genauso gern auf den Bolzplatz möchten. Doch dahin läßt man sie nicht. „Wir Planerinnen können aber nicht auf irgendeine Revolution warten, sondern müssen den Frauen unter den bestehenden Bedingungen helfen, ihren beschwerlichen Alltag zu bewältigen.“ Kathi Seefeld