: Guinness und die kinetische Energie Von Ralf Sotscheck
Guinness wird nie mehr so schmecken wie früher. Seit zwei Wissenschaftler sich des irischen Nationalgetränks angenommen und es analysiert haben, betrachte ich jeden Pint mit tiefem Argwohn: Sinken die Luftbläschen tatsächlich nach unten, oder ist es eine optische Täuschung?
Alles fing damit an, daß sich die beiden Professoren Klaus Müller- Dethlefs und Phil Johnson nach einer Konferenz in den USA einen hinter die Binde kippten. Nach soundso vielen Guinness glaubten die beiden zu bemerken, daß die Luftbläschen in ihren Gläsern zu Boden sanken, während sie beim hellen Bier nach oben strömten. Das liege möglicherweise an „der Dichte und Beschaffenheit der Flüssigkeit sowie am Nitrogengas der Zapfanlage in Verbindung mit dem besonderen Drehmoment“, vermuteten die beiden Gelehrten. Ein typisches Kneipengespräch eben, wie es in irischen Pubs jeden Abend geführt wird. Dort diskutiert man zur Sperrstunde freilich nicht nur das Drehmoment des dunklen Getränks, sondern des ganzen Pubs.
Die beiden Professoren waren allerdings auch noch am Tag darauf von ihrer Entdeckung fasziniert. So beriefen sie flugs eine Konferenz an der Universität von York ein und gaben ihr einen wohlklingenden Namen: „Zero Kinetic Energy Spectroscopy“. Das hört sich allemal wissenschaftlicher an als: „Warum die Luftbläschen im Guinness nach unten sinken.“ Und Zuschüsse hätte es dafür auch nicht gegeben. So aber kamen 50 Kollegen und Kolleginnen zusammen. Müller-Dethlefs und Johnson glaubten, daß das Verhältnis zwischen dem Gas in den Bläschen und den Biermolekülen der Schlüssel für eine neue Behandlung von Hautkrebs, die Entwicklung unschädlicher Röntgenstrahlen und die Senkung von Autoabgasen sein könnte.
Leider hatte man niemanden von der Dubliner Brauerei hinzugezogen. Eine Nachfrage bei Guinness ergab nämlich eine eher unwissenschaftliche Erklärung. „Die Bläschen im Guinness sind eine Mischung aus Kohlendioxid und Nitrogen“, hieß es dort. „Beim Zapfen steigen die Bläschen nach oben und bilden die Schaumkrone. Da sie aber durch die Flüssigkeit aufsteigen, entsteht eine optische Täuschung: Es scheint, als ob die Bläschen sinken.“ Und dann fügte der Guinness-Sprecher höhnisch hinzu: „Es gibt doch tatsächlich ein physikalisches Gesetz, wonach Gase oder Bläschen niemals sinken, sondern immer steigen.“ Zu diesem Ergebnis kamen auch die Wissenschaftler in York, und so ist die Konferenz wenig zufriedenstellend ausgegangen.
Guinness ist nicht zum ersten Mal Gegenstand der Forschung geworden. In verschiedenen Untersuchungen kamen die Experten im Lauf der Jahre zu einem übereinstimmenden Resultat: Die Schaumkrone beim irischen Nationalgetränk besteht aus 500 Millionen Bläschen. Ich wollte das neulich nachprüfen, kam jedoch nur bis zur Zahl 123. Dann war das Glas leer. Die Professoren in York hätten von Oliver St. John Gogarty, dem schriftstellernden Freund von James Joyce, lernen können: „Trinkt, bis ihr die Entlein im Bierseidel schwimmen seht“, schrieb er Anfang des Jahrhunderts in einem Aufsatz über die Guinness-Brauerei. „Trinkt eure Leber ins Martyrium!“ Beziehungsweise eure Professorenhirne.
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