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Das Wunder der Kleinstdarlehen für Arme

Auf dem Washingtoner Mikrokredit-Gipfel werden seit gestern die Zukunftschancen des Armen-Banking im Süden diskutiert. 100 Millionen arme Kreditnehmer sollen in Zukunft erreicht werden, Citibank und Mastercard als Sponsor  ■ Von Thomas Worm

50 Dollar können ein Leben von Grund auf verändern. „Ich hatte Angst und dachte, ich könnte das geliehene Geld niemals zurückzahlen“, sagt Francisca Rojas aus El Salvador, die als neunjährige Waise in einem Straßengraben hausen mußte. Nachdem die mittlerweile erwachsene Frau erstmals einen Mikrokredit aus dem FINCA-Dorfbankprogramm erhielt, hätte sie nicht geglaubt, daß sie sich schon bald durch ein eigenes Gewerbe ernähren würde. Und andere auch. Mit dem geborgten Geld kaufte sie Gewürze, Nudeln und kleine Keramiken, die sie auf dem Lokalmarkt anbot. Nach zwei weiteren Kleinstkrediten hatte Francisca Rojas bereits 45 Dollar zurückgelegt. „Heute gebe ich doppelt soviel für mein Essen aus, ich lebe viel besser, kann Medikamente kaufen und auch etwas sparen.“ Das Wunder der Mikrokredite. Solche Minidarlehen, von ein paar bis zu einigen hundert Dollar, sind vor allem für arme Menschen aus dem Süden bestimmt, die aufgrund fehlenden Bargelds außerhalb des herkömmlichen Bankensystems stehen. Sie werden genutzt für den Kauf von Saatgut, Vieh oder anderen Produktionsmitteln, aber zum Beispiel auch als Überbrückung zwischen den Erntezeiten. Ansonsten bleibt den meisten nur die Möglichkeit, Wucherzinsen an private Geldverleiher zu zahlen. Denn nicht einmal zwei Prozent der Armen rund um die Erde haben Zugang zu Krediten oder Sparguthaben, meldet das Londoner Institut PANOS . Und weniger als zehn Millionen von 500 Millionen Menschen, die ein Kleingewerbe betreiben, können auf Banken zurückgreifen.

Kleingewerbetreibende haben meist keine Bank

Hier setzen sogenannte Mikrofinanzinstitutionen (MFI) mit ihren Kredithilfen, verzinsten Sparguthaben und Versicherungen an. Die Weltbank schätzt, daß 7.000 solcher entwicklungspolitischen Quasi-Banken rund 16 Millionen Arme in den Entwicklungsländern unterstützen und dabei 2,5 Milliarden Dollar Bargeld umsetzen. Doch der Bedarf an Finanzierungsinstrumenten für die kaufkraftschwache Klientel ist weitaus größer. 21,6 Milliarden Dollar, so die Teilnehmer des Mikrokredit-Gipfels, der bis Dienstag in Washington tagt, werden benötigt, um Kleinfinanzierungen für die Bedürftigsten sicherzustellen. Das keineswegs unumstrittene Ziel dieses ersten Mikrokredit-Gipfels ist es, „eine globale Bewegung in Gang zu setzen, um die 100 Millionen ärmsten Familien zu erreichen“. Als arm gelten dabei diejenigen die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze eines Landes leben, zu den Ärmsten der Armen zählt die untere Hälfte davon.

Um das rein zahlenmäßig gefaßte Ziel des Gipfels zu erreichen, sollen sich künftig auch große Finanzinstitute engagieren, die bisher nur im klassischen Bankgeschäft tätig waren. Immer mehr kommerzielle Finanzdienstleister bemerken allerdings, daß ihnen fürs Armen-Banking das nötige Know-how fehlt. Da nimmt es nicht Wunder, daß zu den Sponsoren des Mikrokredit-Gipfels unter anderem Mastercard und die Citicorp Foundation gehören.

Verschiedene Fachleute jedoch betrachten das angepeilte Engagement der Branchenriesen mit Skepsis. Sie fürchten, eine Geldschwemme aus dem Norden könnte die Basis erfolgreicher nationaler MFI gefährden, die immerhin rasante Wachstumsraten von 25 bis 100 Prozent aufweisen. So bemängelt David Wright, Ökonom der britischen Overseas Development Administration: „Wird zuviel Geld von Gebern unter zu lockeren Konditionen bereitgestellt, könnte das die MFI letztlich schwächen. Denn sie haben dann weniger Anreiz, sich Finanzmittel bei den lokalen kommerziellen Quellen zu beschaffen.“ Andere Befürchtungen gehen dahin, die mühsam aufgebauten nationalen Kreditkreisläufe könnten zusammenbrechen, wenn rein profitorientierte Großbanken aus den Entwicklungsländern ihre Gewinne rausziehen, die dann den Armen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Andere Wege geht zum Beispiel die britische, auf ethisches Investment spezialisierte Triodos-Bank. Sie will mit Hilfe privater Geldanleger aus dem Norden Kapital für den Süden mobilisieren. Als erste Bank Europas hat sie einen Kontotyp eingerichtet, dessen Guthaben nur ausgesuchten MFI-Projekten zufließen.

Auch der Dachverband deutscher entwicklungspolitischer Gruppen, VENRO, warnt vor überspannten Erwartungen. In einem offenen Brief an den CDU- Bundestagsabgeordneten Winfried Pinger wird die „entwicklungspolitische Überforderung des Instruments Kleinkredit“ kritisiert. Die „Frage einer nachhaltigen Entwicklung ... wird auf die Zuteilung von kleinsten Geldmengen reduziert“, dafür werden politische, rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen vernachlässigt.

Banken fehlt Know-how für das Armen-Banking

Noch halten sich die großen privaten Finanzdienstleister zurück. Und es ist auch keineswegs so, daß etwa die Industriestaaten oder multinationale Organisationen mit vollen Händen bedenkenlos austeilen würden. Zum Beispiel macht die Consultative Group to Assist the Poorest (CGAP) der Weltbank strenge Auflagen für ihre Finanzspritzen. 23 Mitglieder zahlen in den 200-Millionen-Dollar- Fonds von CGAP ein. Mikrofinanzinstitutionen, die Gelder aus dem Fonds in Anspruch nehmen wollen, müssen nachweisen, daß sie eine große Anzahl armer Menschen erreichen, mindestens 50 Prozent davon Frauen. Und sie müssen sich in Richtung finanzieller Sustainability bewegen, also mit der Zeit eine sich selbst tragende Geschäftsgrundlage entwickeln. Wenn das Sustainability-Kriterium allerdings zu streng angewandt wird, kann es vielversprechende Ansätze ersticken. „Beginnen Mikrofinanzinstitute bei Null, dauert es bis zur Verteilungsfähigkeit von Geld drei bis fünf Jahre“, sagt Kleinstkredit-Experte Alfred Hannig von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit. Auch das Washingtoner Institute for Policy Studies rüffelte die Weltbank-nahe CGAP: Sie spiegele marktorientierte Ziele der Deregulation und Effizienz wider, ohne sich genug um die Interessen ihrer armen Kundschaft zu kümmern.

Der Grundgedanke des Mikrokredits ist simpel: Im Falle erfolgreicher Rückzahlung wächst die Kreditlinie. Ein gebrauchtes Fahrrad für Botenjobs oder der Grillofen für einen Straßenimbiß wird dann erschwinglich. Doch Menschen ohne Ersparnisse benötigen nicht nur für Investitionen Geld, sondern auch für Krankenhauskosten, Hochzeiten, Hungersnöte, saisonale Arbeitslosigkeit und Hausreparaturen. Zwar zeigen Studien, daß erfolgreiche MFI, die oftmals aus Kooperativen, Initiativen von Nichtregierungsorganisationen oder Genossenschaften hervorgehen, etlichen Klienten den Sprung über die offizielle Armutsschwelle ermöglichen. Jedoch ist es irreführend zu sagen, die großen MFI nutzten vor allem den wirklich Armen. So gehört lediglich jeder fünfte Kunde der Grameen Bank in Bangladesch – mit 1,8 Millionen Kleinstkreditnehmern gefeiertes Vorbild weltweit – zur Kategorie „landlos“. Die Autoren des Programms zum Washingtoner Mikrokredit-Gipfel gehen davon aus, daß 20 Prozent der Ärmsten von den MFI-Programmen gar nicht erreicht werden. Den Mangel an Barem bekommen insbesondere die Frauen zu spüren. Sie verdienen nur zehn Prozent des Welteinkommens und besitzen nicht einmal zehn Prozent des Eigentums. Obwohl Frauen die zuverlässigsten Rückzahler sind, zeigen Untersuchungen, daß die meisten der von ihnen aufgenommenen Kredite Männern zugute kommen.

Frauen zahlen besonders zuverlässig zurück

Dennoch profitieren auch die Frauen von Kleinstdarlehen. Eine Umfrage der Grameen-Bank zeigt Erstaunliches: Frauen, die das geliehene Geld an verwandte Männer weiterreichten, waren besser ernährt, gekleidet und medizinisch versorgt als die Frauen von männlichen Kreditnehmern. Auch wenn dem Armen-Banking durch kulturelle Prägungen wie dem moslimischen Zinsverbot oder dem Kastenwesen in Indien Grenzen gezogen sind, scheint doch gerade die soziale Kontrolle vor allem in der dörflichen Umgebung ein erfolgversprechender Faktor für die Bewegung zu sein. Andernfalls wären die sensationell hohen Rückzahlungsquoten von bis zu 98 Prozent nicht erklärbar. Durch „Solidaritätsgruppen“ und „16 Bekenntnisse“ jedes Kreditnehmers, die auf Versammlungen skandiert werden, versucht zum Beispiel die Grameen Bank in Bangladesch Identitäts- und Gruppengefühle zu erzeugen. Grameen-Angehörige versprechen, auf ihre Gesundheit zu achten, sich umeinander zu kümmern, Gemüse anzupflanzen und der Kinderheirat abzuschwören.

Rückzahlung klappt wegen starker sozialer Kontrolle

Allerdings verursacht der Gruppendruck auch Probleme. BRAC und andere MFI berichten, Gruppenmitglieder hätten säumigen Zahlern Vieh und Geschirr weggenommen, um Kreditschulden auszugleichen. Sogar Selbstmorde als Folge des Gruppendrucks sind bei der Grameen Bank schon vorgekommen.

Anders als von vielen NGOs gefordert, scheinen solche Gruppen aber nicht nötig zu sein. In Malawi und Indonesien werden positive Erfahrungen auch mit individuellen Krediten gemacht.

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