: Coming-Out fasziniert
■ Beratungstelefone werden von schwulen und lesbischen Jugendlichen kaum noch genutzt
„Als ich meinem Bruder erzählte, daß ich schwul sei, war er ganz fasziniert. Er fand es so toll, daß er es jedem erzählen mußte. Und so wußte es am nächsten Tag auch meine Mutter“, berichtet der 18jährige Ignatz unbekümmert über sein Coming Out. Mit dem Schwulsein ihres Sohnes hatte seine Mutter keine Probleme. Trotzdem hatte sie Angst um ihren Sohn, denn ihr Wissen von Schwulen entsprach nur Klischeevorstellungen. Das hielt ihn jedochIgnatz aber nicht davon ab, noch am „Offenbarungstag“ in eine schwul-lesbische Jugendgruppe zu gehen. Der damals sechszehnjährige Schüler nimmt in Sachen Schwul-sein schon lange kein Blatt mehr vor den Mund. Freunde, Bekannte und Schulkameraden wissen davon. Statt Ablehnung traf er stets auf Neugier und Wohlwollen.
„Es ist schick , einen Schwulen zu kennen“, vermutet der 19jährige Cord, ebenfalls schwul, der gerade mitten im Zivildienst steckt. Seine ersten Gehversuche in der Szene unternahm er auf eigene Faust. Regelmäßig fuhr er mit der Bundesbahn-Monatskarte seines Vater wochenends nach Bremen, um dort im „Rat & Tat-Zentrum für Homosexuelle“ andere Jugendliche zu treffen. Als er dort die erste große Liebe traf, kam er immer häufiger und länger nach Bremen. Die Fragen seiner Mutter brachten das Thema schnell auf dem Tisch.
Eltern sind selten die ersten, die von der Homosexualität ihrer Kinder erfahren, sagen Rat & Tat MitarbeiterInnen. Meistens ist es der beste Freund oder die beste Freundin. Selbst wenn Eltern die Vorlieben ihrer Kinder erahnen, wagen sie oft nicht, die anzusprechen. Besonders Väter tun sich schwer mit der Homosexualität ihrer Kinder, berichten Betroffene. Während Mütter das Gespräch suchen, hüllen sich die Männer in Schweigen und vermeiden das Thema und den Kontakt zum Kind.
„Es gibt keinen Zweifel, trotz aller noch stattfindenen Diskriminierung hat sich viel für Schwule und Lesben getan“, sagen Jugendberater. Gerade für Jüngere ist es leichter geworden über sich und ihre Sexualität zu sprechen. Während sich frühere Coming-Out-Beratungen noch vielfach um Schwierigkeiten mit den Eltern drehten, wollen die Jugendlichen heute eher Infos über Szenetreffs und Veranstaltungstips. Wo kann ich hingehen? Wo treffe ich Gleichaltrige? Schwule und lesbische Jugendliche haben meist die gleichen Probleme wie ihre heterosexuellen Freunde. „Die erste, unerwiderte Liebe, der erste Freund, daß sind die Themen der Jugendlichen“, so der 26jährige Ralf Cordsen. In seiner dreieinhalb-jährigen Erfahrung als Berater in der Jugendgruppe im Rat&Tat-Zentrum hat er feststellen müssen, daß Coming Out-Gruppen und anonyme Beratungstelefone kaum noch Zuspruch finden. „Probleme und Sorgen werden lieber im Freundeskreis oder im offenen Jugendcafé unter vier Augen besprochen“. Schwule und Lesben haben sich einige Freiräume und Rechte erkämpft, dennoch gibt es auch heute noch Schwierigkeiten beim Coming-Out.
„Die klassische Vorstellung, wo die Mutter nur weint und der Vater schreiend die verfehlte Erziehung beklagt, ist noch nicht nur Geschichte“, sagt auch Boy Quedens vom schwulen Beratertelefon des Rat&Tat-Zentrums. „Probleme mit ihrem Coming Out haben eher ältere Schwule, die schon in festen Strukturen verwurzelt sind und sich nun zum Beispiel auf der Arbeit outen möchten“. Jugendliche melden sich dort weniger. „Die nehmen gleich das jugendspezifische Angebot in Anspruch.“ Darunter viele Jugendliche aus dem Bremer Umland. In Dörfern und kleineren Städten gibt es meist keine Beratung oder Treffpunkte für homosexuelle Jugendliche.
Daß nicht nur die Auswärtigen „beim ersten Mal“ fünfmal ums Rat & Tat-Haus laufen, bevor sie sich hineintrauen, belächeln die erfahreneren unter den jüngeren Rat & Tat BesucherInnen. „Das ist vielleicht wie vorm ersten Kuß.“
Kai Lehmann
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