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Größte Show der Welt

Die Karnevalsvorbereitungen in Trinidads Hauptstadt Port of Spain laufen auf Hochtouren. Montag früh, genau um zwei Uhr, beginnt das gesellschaftliche Ereignis der Karibikinsel: Ole Mas  ■ Von Soca M.

Unzählige Lastwagen mit gigantischen Lautsprecherboxen, andere mit tonnenweise Rum und Bier, verstopfen Downtown Port of Spain. Vor jeder Kneipe stehen Türme von Boxen, donnern Calypso- und Socaklänge auf die Straße. An jeder Ecke werden Tribünen aufgebaut, wertvolle Gebäude eingezäunt und Schaufenster zugenagelt. Port of Spain wirkt abschreckend und faszinierend zugleich.

Da gibt es diesen Doppelstaat Trinidad & Tobago am südlichsten Ende der Kleinen Antillen. Venezuela in Sichtweite. Eine Insel mit Fremdherrschaft, Machtkämpfen zwischen Schwarzen und Indern, Korruption, Drogenkriminalität, enormen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und einem Karneval, der jedes andere Festival auf der Welt in den Schatten stellt.

Den Karneval haben Ende des achtzehnten Jahrhunderts französische Siedler auf die Insel gebracht. Zwei Tage voller Laster, bevor die Fastenzeit beginnt. Die Schwarzen waren ausgeschlossen. Erst fünfzig Jahre nach Beendigung der Sklaverei durften sie mitmachen. So kamen am Ende des letzten Jahrhunderts Rhythmus und Tanz ins Fest.

Um 1890 versuchte die britische Kolonialmacht, die Schwarzen wieder auszuschließen – zu spät. Kommandant Bringley 1889: „Mich ekelt es, wenn ich sehe, wie sich Angehörige der weißen Bevölkerung an der wilden Orgie beteiligen, zu der der Carnival auf Trinidad verkommen ist.“

Die afrikanischen Bräuche wie der Kalinda – Stockkampf – sind bereits fest integriert. Die Kontrahenten werden von singenden Massen angefeuert. So entsteht zur Jahrhundertwende der legendäre Calypso.

Am Karnevalsdienstag 1937 tauschen zwei Musikerinnen der Maskenzuggruppe Bad Behaviour Sailers ihre Tamboo-Bamboos gegen Mülltonnen aus. Sie sorgen für Aufsehen und gewinnen einen Preis. Die Steeldrum ist geboren. Auf ihr können verschiedene Töne gespielt werden. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Amerikaner zwei riesige Luftwaffenbasen räumen, lassen sie Tausende leere Ölfässer unterschiedlicher Größe (und Tonlage) zurück. In Trinidad schießen die Steelbands wie Pilze aus dem Boden.

Port of Spain ist der Umschlagplatz für Drogen aus Südamerika schlechthin. Die Arbeitslosigkeit beträgt ungefähr dreißig Prozent. Keiner weiß das ganz genau. Ein soziales Netz gibt es nicht. Entsprechend hoch ist die Kriminalität.

Es gibt Städte, die werden erst nachts schön. Port of Spain ist eine davon. Die Straßen sind voller Menschen. Überall Musik. Steelbands mit mehr als hundert Musikern bei den letzten Proben. Die Mas camps, die Kostümschmieden, sind jetzt rund um die Uhr geöffnet. Die letzten Ausscheidungen für unterschiedliche Wettbewerbe laufen. Wer qualifiziert sich für die Finals?

Die Konkurrenz ist hart. Nur noch ein verlängertes Wochenende bis zum großen Showdown. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Ganz Trinidad & Tobago scheint in der City zu sein. Dazu unzählige Karnevalsüchtige aus der ganzen Welt. Bereits ab August sind alle Hotels und Guesthouses ausgebucht, die Preise jetzt drei- bis viermal höher als normalerweise.

Fünf Tage Karneval. Freitag, Samstag und Sonntag, am Demanche Gras, vergibt das Land seine höchsten Ehrungen. Karneval ist hier Staatsangelegenheit und in der Schule Pflichtfach.

In der Queen's Park Savannah, einer riesigen Parkanlage, treten am Freitag die besten Calypsosänger gegeneinander an. Jeder Calypsonien trägt zwei Songs vor: einen kritischen, in dem er die Mißstände im Land benennt, und einen amüsanten, der vor Frivolitäten strotzt. Die Stimmung im Publikum ist ausgelassen. Lautstark kommentiert es die Leistungen seiner Idole.

Calypso spielt eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben. Der international erfolgreiche Musiker David Rudder: „Der Calypso ist ein Mittel, um unsere Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten. In den Liedern leben wir unsere Gewalt aus. Wir töten einander mit Songs. Wir machen uns gesund mit unserer Musik.“ Die Sängerin Denise Belfon: „Wir beschreiben, was das Volk denkt. Dann ist es Sache der Regierung, zuzuhören und es besser zu machen.“

Nach den Wettbewerben geht die Party erst richtig los. Die Straßen sind dicht – mit feiernden Menschen. Die Stadt kennt keinen Schlaf mehr. Im Morgengrauen treffen sich die Hartgesottenen in der Szenekneipe „Smokeys and Bunties“. Genauer gesagt, davor. Der harte Kern sind vielleicht 3.000 Leute. Auf wundersame Weise klappt die Versorgung mit rum & coke ausgezeichnet.

Bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt ist der Kiddis Carnival am Samstag nachmittag. Selbstbewußt und voller Übermut tragen die Jüngsten ihre phantasievollen Kostüme zur Schau. Der Renner bei den Twens ist dann abends der Wettbewerb um den Soca Monarch.

Soca ist ein Ableger des Calypso und die Partymusik der südlichen Karibik. Das National Stadium ist brechend voll. Hausgroße Lautsprecherwände garantieren ein akustisches Bombardement. Siebzehn Sängerinnen und Sänger präsentieren ihre Hits. 50.000 Fans in Socamania.

Die Stimmung steigt unaufhaltsam. Als Roadmarch King Nigel Lewis die Masse mit „moving to the left, moving to the right“ aufpeitscht, wird es lebensgefährlich. Alle springen mit, zehn Meter nach links, dann nach rechts, nach vorn, nach hinten. Wer jetzt hinfällt, kann totgetrampelt werden. Jeder hält sich am Nächsten fest. Dem King reicht's noch immer nicht, er verdoppelt die Moving-Passagen. Zwanzig Meter nach links ... Das Stadion kocht.

Dann endlich Superblue mit dem Knaller der Saison: Bounce (Springen). Abertausende steigern sich in eine kollektive Ekstase, stürmen die riesige Bühne, reißen ihr Idol zu Boden. Die Bodyguards sind völlig hilflos. Der Vollblutmusiker kämpft sich durch und erklimmt einen Scheinwerfermast, singt einfach von oben weiter. Die Fans verlassen die Bühne nicht mehr. Der Wettbewerb wird abgebrochen. Der alte und neue Soca Monarch heißt Superblue.

Am Demanche Gras, dem letzten Tag vorm Karneval, kämpfen vier Finalisten mit dem Titelverteidiger um die Krone des Extempo Monarch. Die Spielregeln haben es in sich. Der Künstler zieht ein Los, auf dem ein allgemein bekanntes Thema steht. Und nun muß er auf der Stelle vier Strophen Text improvisieren. Dieser muß sich auch noch reimen und soll witzig sein.

Anschließend beginnt der bekannteste und schillerndste Wettbewerb: Die Kostüme werden präsentiert. Genau zehn endlose Minuten müssen die Kandidaten die zentnerschweren riesigen Verkleidungen vortanzen. Fünfzehn Meter in Höhe und Breite sind keine Seltenheit. Einige sind mit Hunderten von Feuerwerkskörpern ausgestattet, die ein bizarres Lichterspiel in der Dunkelheit erzeugen. Die Kostüme sind wahre Kunstwerke.

Sonntag abend. Die Vergnügungssüchtigen machen durch. De Real Ting, der eigentliche Karneval, rückt unaufhaltsam näher. Und dann ist es endlich soweit: Montag früh, Punkt zwei Uhr morgens. Das Donnern einer Kanone eröffnet The Greatest Show On Earth. Mit einem Schlag quellen die Straßen über. Ole Mas, die traditionelle Karikatur auf die jeweiligen Machthaber, wird gefeiert.

Jeder verunstaltet sich, so gut er kann, und trägt die unmöglichsten Klamotten. Viele haben sich mit Schlamm, Ketchup oder Altöl eingeschmiert. Andere rennen mit Farbeimern herum und „kolorieren“ diejenigen, die einfach noch zu ordentlich sind. Mit ohrenbetäubender Lautstärke peitschen die DJs Soca in die warme karibische Nacht. Sie kommen auf Tiefladern. Die sind randvoll beladen – mit Lautsprecherboxen.

Nach wilder Tanzerei ziehen sich die meisten ermüdet am Vormittag zurück. Einige komatisierte Rumliebhaber bleiben einfach draußen liegen. Die masqueraders nehmen eine gründliche Dusche und legen ihre Kostüme an, die mehr frei lassen als bedecken. Die preiswertesten kosten ab 100 US- Dollar – für die meisten hier sehr viel Geld.

In euphorischer Partystimmung sammeln sich die Züge vor ihren Mas camps. Die Sonne steht im Zenit, 40 Grad Celsius im Schatten. Eine einzige Gruppe besteht oft aus ein paar tausend Tänzern – alle in gleichem Outfit. 22 Züge tanzen sich die Seele aus dem Leib. Das Ziel lockt: Band of The Year, der letzte Preis des Karnevals.

Steelbands sorgen für Rhythmus und Schalldruck, Discjockeys legen die heißesten Vinyls auf, Soca- und Calypsobands spielen, was das Zeug hält. Die Stadt ist ein einziger Hexenkessel. Zuschauer gibt es nicht mehr. Jung und Alt tanzt den wine, die erotische Lieblingsbeschäftigung auf Trinidad & Tobago. Bei der harmlosesten Variante stehen zwei Tänzer Rücken an Rücken und bewegen synchron ihren bumsi (Kosewort für Hintern). Finden beide Gefallen daran, dauert es meist nicht lange und einer dreht sich um. Bauch an Bauch geht's weiter.

Die Steigerung ist dann das jamming. Die Tänzerin stellt sich vor den Partner und drückt ihren bumsi hüftschwingend an den most privat part des Mannes. Die Krönung des wine ist aber getting on down. Die Frau beugt den Oberkörper nach vorn, stützt sich mit den Händen am Boden ab und plaziert ihre Füße noch weiter auseinander, der Mann geht leicht in die Knie, und los geht's. Die Party tobt nonstop bis Dienstag abend. Mit einem Mal ist alles vorbei. Port of Spain wird zur dirty old town.

Buchtips:

Heny Shukman: „Inseln über dem Wind – Die Karibik zwischen Siesta und Fiesta“. Rohwohlt Verlag, Reinbek, 14,90 DM

Gerhard Heck: „Trinidad & Tobago“ Reisetaschenbuch. DuMont Buchverlag, Köln, 19,80 DM

Evelyn Seeliger: „Trinidad & Tobago“. Verlagsgruppe Reise Know-How, Bielefeld, 36,80 DM

Cornelia Zingerling und Yolanda Ponce: „Küchen der Welt: Karibik“. Originalrezepte und Wissenswertes über Land und Leute. Verlag Gräfe und Unzer, München, 39,80 DM

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