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„Hätte nie gedacht, daß Sie Knacki sind“

Das Gefängnis als Aus-Zeit: Im Moritz-Liepmann-Haus in Altona wohnen Strafgefangene, die sich als FreigängerInnen auf ihr Leben in Freiheit vorbereiten  ■ Von Elke Spanner

Zufällig lernte sie im Supermarkt einen jungen Mann kennen. Als er mit Janne P. noch einen Kaffee trinken gehen wollte, zögerte sie zunächst, deutete vorsichtig an, daß sie „nicht sehr viel Zeit“ habe. Dann der Sprung ins kalte Wasser: Janne P. offenbarte ihrem Begleiter, daß sie Strafgefangene sei und Freigängerin. Sie hatte Glück. „Er sagte nur: Ich hätte niemals gedacht, daß Sie Häftling sind“, strahlt die 46jährige. Die Einladung zum Kaffee war gerettet.

Janne P. zupft die wuchtige dunkelblaue Samtschleife in ihren Haaren in Form. Sie schlägt die Beine übereinander. Unter der karierten Bermuda aus Flanell lugen schwarze Nylonstrümpfe hervor. Zurechtgemacht als käme sie soeben aus dem Büro einer Handelsfirma, läßt ihre Eleganz den Aufenthaltsraum im Moritz-Liepmann-Haus noch nüchterner wirken. Alles hat hier seinen festen Platz, nichts liegt zufällig herum; Lampen, graubezogene Stühle und kleine Beistelltische stehen geometrisch angeordnet an der Wand, wirken eher ab- als bereitgestellt. Zentral im kargen Raum plaziert, steht einsam eine Sonnenblume aus Plastik auf dem Tisch. Als könnte sie Sonnenstrahlen einfangen, neigt sich die Blüte in Richtung des großen Fensters.

Auch Janne P. blickt immer wieder durchs Fenster in den Garten hinaus, der das Gebäude an der Alsenstraße umgibt. Erst seit zwei Wochen „wohnt“ die gelernte Kauffrau hier. Strafrechtlich verurteilt wegen totaler Überschuldung, war sie vorher im Frauentrakt des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis untergebracht, „das war die Schocktherapie meines Lebens“.

Doch nicht nur deswegen ist sie glücklich, einen der sieben Plätze für Frauen im Moritz-Liepmann-Haus bekommen zu haben: „Man wird nicht ganz aus seinem Leben rausgerissen“, resümiert die selbstsichere Frau, die durchaus den Eindruck erweckt, fest im Leben zu stehen. Sie hält einen Schlüsselbund, der pausenlos von Hand zu Hand wechselt, während sie über ihr Leben erzählt. Die Unruhe, die sie verbreitet, erweckt den Eindruck, als schaue sie hier nur kurz auf einen Sprung vorbei.

Doch wer im Moritz-Liepmann-Haus an der Alsenstraße in Altona lebt, der hat keine Eile. Das Haus ist zwar eine Freigängeranstalt, doch auch die Freiheit hat ihre Grenzen. Sechs bis zwölf Monate verbringen die BewohnerInnen hier. Tagsüber verlassen sie zum Arbeiten das Haus. Zum Feierabend müssen sie sich zurückmelden. Dann gibt es „Abendausgang“ bis 23.30 Uhr. Das Dasein als Strafgefangene ist durch feste Termine markiert.

Ihre Rolle als „Sträfling“, als „Knacki“, wie sie sich selbst bezeichnet, ist Janne P. nicht geheuer. „Ich hatte früher auch meine Vorurteile“, räumt sie ein. Und mit diesen Vorurteilen muß sie nun selber fertig werden. Leicht wird ihr das nicht gemacht: Als für den Dezember der Haftantrittsbefehl kam, nahm sie für die Zeit, die sie noch im Untersuchungsgefängnis verbringen mußte, Urlaub. „Aus familiären Gründen“, schmunzelt Janne P. Im nächsten Satz verfliegt ihr Lächeln. Als die Kauffrau ihrem Arbeitgeber offenbarte, daß sie ihren Job später als Freigängerin weiterführen werde, feuerte er sie fristlos. „Er sagte, ich bin nicht der Knastdirektor für die Stadt Hamburg“, empört sich Janne P.

Auch Oliver S. überlegt sich genau, wem er erzählt, daß er Strafgefangener ist. „Freunde will ich im Moment gar nicht haben“, erklärt der 27jährige defensiv und murmelt etwas von „schlechten Erfahrungen“. Seit knapp drei Monaten wohnt er im Moritz-Liepmann-Haus. Verurteilt ist er wegen Einbruchsdiebstahls, saß vorher fünf Monate im geschlossenen Vollzug. „Es ist mir zwar nicht peinlich, aber das müssen nicht alle wissen, daß ich einsitze.“ Verlegen läßt Oliver S. den Blick flüchtig über den Boden gleiten, dann blickt er wieder fest nach oben. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnt er sich gegen den Kühlschrank. Die Küche ist zur Zeit sein Arbeitsplatz. Als „Hausarbeiter“ ist Oliver für ihre Reinigung zuständig. Außerdem putzt „unser Oli“, wie er unter den Insassen genannt wird, auch noch die Flure und die Badezimmer des Moritz-Liepmann-Hauses. Der Knast als Aus-Zeit.

Kommende Woche fängt der gelernte Schlosser dann wieder bei der Firma an, in der er vor seiner Haftzeit arbeitete, diesmal als Freigänger. „Alte Firma, neues Leben“, grinst Oliver S. und wittert schon neue Perspektiven für sein Leben nach dem Knast. Denn vorher, das meint er heute zu wissen, „kam das alles nur durch den Alkohol.“

Ihre Zuversicht für ein neues Leben danach teilen die beiden Gefangenen mit Anstaltsleiterin Christiane Lindemann. Die Chefin der Übergangseinrichtung, die ihre Schützlinge vom geschlossenen Vollzug in die Freiheit begleitet, kann in ihren über 20 Dienstjahren auf Erfolge verweisen. Rund 66 Prozent aller männlichen Insassen und 75 Prozent der einsitzenden Frauen finden sich außerhalb der Knastmauern gut zurecht. Wer nicht „in die Freiheit entlassen werden kann“, so Lindemann, müsse zurück in den Regelvollzug. So ergehe es allen, die „die Freiheit nutzen, um sich selbst zu schaden.“ Wer also im Freigang Straftaten begeht oder seine Arbeit nicht geregelt bekommt, wandert aus dem Moritz-Liepmann-Haus zurück in den geschlossenen Knast. Daß diese Minderheit der Gefangenen zur Zeit Zündstoff für eine Diskussion über die Einschränkung von Vollzugslockerungen ist, hält die Anstaltsleiterin für fatal: „Der Strafvollzug nach dem Motto: bis zum letzten Tag hinter Mauern nützt nichts“, ist sie überzeugt. „Man muß lernen, anders zu leben.“

Bei Janne P. und Oliver S. ist die Message angekommen. Janne P. hat diese Woche mit einer Fortbildung in Datenverarbeitung begonnen. In Winterhude wartet eine eigene Wohnung auf ihre Entlassung, mitsamt der beiden Katzen, die zur Zeit von einer Nachbarin versorgt werden. Nur eines macht Janne P. Angst: „Daß ich mal einen Partner kennenlerne und ihm sagen muß: Meine Weste ist nicht blütenweiß, sondern, ich sag mal, anthrazit.“

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