: In Ägypten ist der Teufel los: Satanskult am Nil
Eine kleine Gruppe Jugendlicher aus der Kairoer Oberschicht hat ein neues Hobby entdeckt: Sie hören Heavy-Metal-Musik und manche beten gar den Teufel an – aus purer Langeweile. „Blasphemie!“ schreien konservative Kleriker und fordern die Anwendung der Scharia, des islamischen Rechts – kaum anders als ihre katholischen Amtskollegen ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Seit Wochen gibt es in der ägyptischen Presse nur noch ein Thema: Weil sie angeblich den leibhaftigen Satan anbeten, steht derzeit eine kleine Gruppe jugendlicher Heavy-Metal-Fans am öffentlichen Pranger.
Nun lockt Derartiges im an Grufties und Teenie-Okkultismus gewöhnten Westen kaum mehr jemanden wirklich hinter dem Ofen hervor – außer einigen streng katholischen Pfarrern und Sektenbeauftragten vielleicht. In der tief religiösen ägyptischen Gesellschaft lösen derartige Geschichten jedoch noch immer regelrechte Schockwellen aus. Für so manchen gläubigen Muslim steht der totale moralische Verfall der Jugend des Landes zur Disposition.
Es ist also kein Wunder, daß die ägyptischen „Ubud As-Sheitan“ – die „Teufelsanbeter“ – schnell zu den Buhmännern und -frauen der ägyptischen Nation avanciert sind.
Dabei begann die Geschichte äußerst harmlos mit einer Handvoll gelangweilter Jungen und Mädchen aus der ägyptischen Oberschicht. Deren neuester Hit waren Musikkassetten und Videos mit Heavy-Metal-Musik, immer leicht über der Audio-Schmerzgrenze. Der in Ägypten über Satellit zu empfangende Musikfernsehsender MTV tat sein Übriges. Dem folgten ein Dutzend öffentlicher und privater Konzerte in Kairo, gesponsert von multinationalen Konzernen wie McDonald's.
Eine kleine Szene von ein paar hundert Leuten entstand, die ihre Nische bei regelmäßigen Treffen vor den Filialen der Fast-food- Kette kultivierte und ansonsten über das Computernetz Internet mit Gleichgesinnten in Großbritannien, Schweden und – zugunsten so mancher jetzt verbreiteter Verschwörungstheorie – auch in Israel, in regelmäßiger Verbindung stand.
Einigen aufmerksamen Bürgern waren die unüberhörbaren Parties und Konzerte schnell suspekt – und so heftete sich auch der lokale Geheimdienst bald an diese blasphemische Spur. Als es den Spitzeln gelang, eines der Konzerte auf Video zu bannen, war es um die betroffenen Jugendlichen geschehen.
Denn welch schockierende Bilder mußte man da in der Geheimdienstzentrale analysieren. Langhaarige junge Männer, auffallend stark geschminkte junge Frauen, merkwürdige rituelle Tänze, viele Tätowierungen und lange Nägel, Symbole wie umgedrehte Kreuze und selbst einige Tierschlachtungen: Kurzum, das Grauen schlechthin.
Schnell berieten sich die für Teufelsanbeter zuständigen Sicherheitsbehörden mit den religiösen Autoritäten des Landes – und man wurde sich bald einig: Dieser skurrilen Modeerscheinung mußte sofort ein Riegel vorgeschoben werden. Denn inzwischen war auch die Presse auf das Thema aufmerksam geworden. Zeit zum Handeln. Vor ein paar Wochen war es dann soweit. Fast 80 Jugendliche wurden von der Polizei abgeholt und dem Staatsanwalt vorgeführt. Deren Wohnungen wurden auf den Kopf gestellt. Pornovideos, Teufelsposter und T-Shirts, Kassetten mit Heavy-Metal-Musik und englische Gedichte der Teufelsanbetung wurden von den Behörden als vorgebliche Beweismittel beschlagnahmt.
Wer sich vor dem Staatsanwalt als ausschließlich harmloser Musikfan entpuppte, konnte schon bald gegen Kaution nach Hause gehen. Die besonders harten Fälle wurden aber in zunächst 15tägiger Untersuchungshaft einbehalten. In der Presse war eine gewisse Häme über die Betroffenen und ihre Angehörigen nicht zu überhören.
So manches Kind bekannter Musiker, Schauspieler und auch Fernsehansagerinnen waren mit von der Partie. Selbst der Sohn eines Provinzgouverneurs soll festgenommen worden sein. Die immer wieder gern gegeißelte Dekadenz der ägyptischen Oberschicht war erneut mit viel Genuß bewiesen.
Als wäre das alles nicht ausreichend und die 16- bis 20jährigen nicht schon längst genug bestraft durch die Verhöre des Geheimdienstes und die öffentliche Zurschaustellung durch journalistischer Schreibtischtäter – traten nun auch die religiösen Autoritäten des Landes auf den Plan.
Das Oberhaupt der koptischen Christen, Papst Schenuda, klagte die höchste mögliche Strafe für die angeblichen Teufelsanbeter ein. Es könne in dem Fall nicht von Rede- und Meinungsfreiheit gesprochen werden, denn Freiheit bedeute, den Menschen von seinen Fehlern zu befreien, ließ er durch einen Sprecher verlauten.
Der muslimische Großmufti Nasser Farid Muhammad Wassel – eigentlich für seine ansonsten moderate Haltung bekannt – trug ebenfalls sein Scherflein bei. Er erklärte die Jugendlichen schlicht zu Apostaten – zu vom Islam Abtrünnigen – und forderte Reue. Sie müßten ihren „maroden und verdorbenen Gedanken abschwören“, ansonsten drohe ihnen die gerechte Strafe der Scharia, des Islamischen Rechts. Bei Apostasie lautet diese: Todesstrafe. Ähnliches forderten für den Wiederholungsfall auch einflußreiche Scheichs der islamischen al- Ashar-Universität. „Teufelsanbeter sind für die Gesellschaft schädlicher als Heroin und andere Drogen“, sagte einer der Scheichs der traditionellen islamischen Kairoer Universität.
Nach diesen Äußerungen war zumindest für einen Teil der ägyptischen Presse das erste Mal der Zeitpunkt für ein wenig Besinnung gekommen. Auflagensteigerung bedeuteten nicht mehr das alleinige Ziel. Ibrahim Issa, Chefredakteur der Wochenzeitung ad-Dustur (Die Verfassung), war „entsetzt über den ehrenwerten Mufti, der die Jugendlichen für die Todesstrafe freigeben will, weil er sie zu Apostaten erklärt, und über diejenigen, die jene Jugendlichen, die fast noch Kinder sind, vor ein Militärgericht stellen lassen wollen“. Was solle das Gezeter der Journalisten und Scheichs, als wolle man im Fastenmonat Ramadan besonders Gutes tun, indem man zum Vergießen jugendlichen Blutes aufrufe, fuhr Ibrahim Issa in seinem Leitartikel weiter fort.
Die Jugendlichen selbst gaben bei ihren Verhören höchst Unterschiedliches zu Protokoll. Den einen gefiel die „Sex-and-Drugs- and-Rock'n'Roll-Atmosphäre“ der Konzerte. So mancher wollte einfach mal so richtig die Gesellschaft schocken. Für andere war es die Möglichkeit, sich auf den Tanzparties ungeniert dem anderen Geschlecht zu nähern. Viele gaben bei den Verhören auch zu Protokoll, dem Klang der in Ägypten ungewöhnlichen westlichen Musik verfallen zu sein.
Für manchen der Festgenommenen, wie etwa einem Erstsemester im Studium des Ingenieurwesens aus reicher Familie, der auch in der ägyptischen Band Schwarze Rose spielt, ist das Ganze „einfach die provokativste Form des Protestes“. Die ganze ägyptische Gesellschaft sei „von Religion bestimmt“, folglich sei Teufelsanbetung „die extremste Form, aus den überkommenen Traditionen auszubrechen“, diktierte er seinen Vernehmern in das später von Zeitungen in Auszügen veröffentlichte Protokoll.
Eine neue Jugendbewegung in der islamischen Welt, die die festgefahrenen Alten mit ihren eigenen Waffen der Religion schlagen will? Von einer Bewegung kann keine Rede sein. Es war wohl eher ein Freizeitspaß von ein paar hundert Jugendlichen aus besserem Hause. Ein kleine, wohlsituierte Szene, die jetzt im Rampenlicht der Überreaktion verwundert über so viel Aufsehen meist verschreckt in die Scheinwerfer blickt.
Ein paar Parties, ein paar sensationelle Reportagen in der ägyptischen Presse, ein Aufschreien der Scheichs, prompt einschreitende Sicherheitskräfte und ein paar zynische Artikel in der internationalen Presse über Absurditäten in einem konservativen islamischen Land – es ist einfach der Stoff, aus dem gut zu verkaufende Mediengeschichten sind.
Aber auch diese sind nicht von Dauer. Die religionsschwangere Atmosphäre des Ramadan ist seit dem Wochenende vorbei. Die Wogen der Emotionen werden sich wieder glätten.
Daß alle festgenommenen Jugendlichen aus gutem Hause stammen, mag am Ende – trotz aller Scharfmacherei – dazu beitragen, daß das ganze Drama um die jugendlichen Teufelsanbeter sein tatsächlich angemessenes Ende bekommt: ein paar hundert heftige Streitereien zwischen jung und alt in den Häusern der Fernsehansagerinnen, Gouverneure und anderer Prominenz.
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