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BSE-Brötchen und S-Bahn-Surfer

■ „Kinder sehen ihre Stadt“: 11- bis 15jährige beschrieben Hamburg. Daraus wurde ein Buch

Kinder haben viel zu sagen, nicht immer muß es die Wahrheit sein. Ein paar Worte zum Beweis: „Hamburger! Ich muß euch was über Hamburg erzählen, was mir mal passiert ist“. Das ist zwar gelogen, fällt aber unter die Rubrik künstlerische Freiheit. Der Satz stammt aus einer Geschichte über Hammi, das sprechende BSE-Brötchen, geschrieben von Timur Stürmer aus Bergedorf und abgedruckt in einem schmalen Bändchen mit dem Titel Kinder sehen ihre Stadt: Hamburg.

Im Frühjahr 1996 hatten der Weinheimer Verlag Beltz & Gelberg und die Thalia Buchhandlung Hamburger Schüler der 5. bis 7. Klassen zu einem Erzählwettbewerb aufgerufen. Von den knapp 400 eingereichten Texten wurden 76 ausgewählt und prämiert. Das Ergebnis stellte die sechsköpfige Jury am vergangenen Freitag im Thalia-Buchhaus in der Spitalerstraße der Öffentlichkeit vor. Die bestand hauptsächlich aus den Autoren selbst, den stolzen Eltern und zufällig vorbeikommender Kundschaft. Niemand hatte sich darum gekümmert, zur werbewirksamen Unterstützung irgendwelche Prominenz einzuladen, und niemand vermißte sie. Jedes Kind bekam eine Urkunde überreicht – fairerweise gab es nur erste Preise – und einen Bücher-Gutschein über 100 Mark als Autorenhonorar. Ein paar Geschichten wurden vorgelesen, dann gab's Kaffee und Butterkuchen.

Hört sich unspektakulär an, und in der Tat ging es nicht darum, mit einer großangelegten PR-Aktion einer neuen Generation von Schriftstellern den Weg zu ebnen. Es ging einzig um eine Mischung aus Meinungen, Erfahrungen und Stellungnahmen der 11- bis 15jährigen. Die Kinder mußten zum Teil, wie im Rahlstedter Gymnasium, klassenweise Aufsätze schreiben und einschicken. Trotzdem haben „eigentlich alle gerne mitgemacht“, sagt Mareike Schuldt (13).

Dabei herausgekommen sind Geschichten über den Hafen, den Dom und Hagenbeck, über randalierende HSV-Hooligans, S-Bahn-Surfer und Schulhof-Schlägereien. Über Außerirdische, die den Michel entführen und Flußnixen, die mit einem Zauberspruch die Elbe sauberhexen. Wunschträume, ernsthafte Beschwerden über verdreckte Spielplätze und Schlaglöcher auf Fahrradwegen, dann wieder Quatschtexte über Ufos, die im Hafen Fische holen – wer glaubt, Kinder wären kritischer als Erwachsene, nur weil sie klein sind, irrt. Sie haben bloß eine andere Perspektive. Manchmal trauen sie sich, rücksichtslos die Dinge zu sagen, die ihnen wichtig sind. Das, zusammen mit ein paar wirklich spannenden Geschichten, macht dieses Buch lesenswert. Barbora Paluskova

„Kinder sehen ihre Stadt: Hamburg“, Beltz & Gelberg Verlag, 9,90 DM, 142 Seiten

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