: Bierbauch statt Bilderbuch
Seit die Bücherhalle in Hanhoopsfeld geschlossen ist, hat der Harburger Stadtteil eine neue Attraktion: den Bierpalast ■ Von Barbora Paluskova
Etwas fehlt den Hanhoopsfeldern, wenn sie vor die Haustür treten. Spielplätze für Kinder? Kommerzfreie Freizeitangebote für die Großen? Sicher, auch solche Einrichtungen sind hier nicht in einem Umfang vorhanden, der zum Jubeln Anlaß böte, doch zum Jammern gibt es eigentlich auch keinen Grund. Es ist nett, hier zu wohnen, etwas außerhalb der Harburger Innenstadt, fast schon im Grünen. Viele junge Familien, viele Kinder. Aber gerade denen fehlt etwas Entscheidendes – ihre Bücherhalle.
Seit Mitte Januar ist die Ausleihe geschlossen, und nur wer Bücher abgeben will, wird noch hereingelassen. Übermorgen ist auch das vorbei. Laternenumzüge, Diskussionen mit Politikern, Protestbriefe an den Verwaltungsrat der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB), alles war umsonst: Nach der Umsetzung der HÖB-Sparbeschlüsse bleibt lesewilligen Hanhoopsfeldern wenig mehr als die Fahrt in die Harburger City.
Nicht so schlimm, so scheint es auf den ersten Blick, es sind nur drei Stationen mit dem Bus. Aber für Sechsjährige kann auch eine solche Fahrt ein unüberwindliches Hindernis sein, und sich mit dem Kinderwagen in den Bus zu quälen, überlegen sich so manche Erziehungsberechtigte zweimal. Aber dafür wird als Trostpflaster schließlich das Angebot des Bücherbusses ausgeweitet. Der kommt jetzt zweimal die Woche für eine Dreiviertelstunde. Das war's.
War das alles, was die Bücherhalle zu bieten hatte? Was ist mit den Veranstaltungen, dem Theater, dem wöchentlichen Bilderbuchkino? „Dem Stadtteil fehlt der kulturelle Mittelpunkt“, sagt Bibliotheksleiterin Jutta Mons. Und die Kinder, die die Hälfte des Bücherhallen-Publikums ausgemacht hatten, trifft der Verlust am härtesten. Einmal pro Woche sei er hingegangen, erzählt Engin Abali (10), vier Jahre lang, seit er lesen gelernt hat, und habe sich am liebsten Krimis und Comics ausgeliehen. Was er jetzt liest? „Im Moment nichts“.
„Die Bücherhalle gehörte einfach zum Alltag“, erklärt Yvonne Hock, Erzieherin im benachbarten Kinderzentrum. Für die ganz Kleinen sei es jedesmal ein prima Ausflug gewesen, neue Bilderbücher zu holen, ein erster Schritt zum selbständigen Lesen. Die Größeren habe sie problemlos allein hinschicken können. Der Weg nach Harburg sei dagegen viel zu weit. Das Kinderzentrum und die Bibliothek hatten eng zusammengearbeitet, Veranstaltungshinweise ausgetauscht, und hatten die Erzieherinnen Feierabend, wußten sie ihre Schützlinge bei Frau Mons gut aufgehoben.
Das war einmal. Was bleibt, liegt gleich nebenan und hat gute Chancen, die größte Attraktion am Hanhoopsfelder Marktplatz zu werden: Der Bierpalast bietet den Erwachsenen ein umfangreiches Angebot an Spirituosen und Seemannsliedern. Die Kinder können sich dort ein Eis holen und draußen auf der Straße nach Belieben rumkleckern. Bilderbücher, die sie beschädigen könnten, haben sie ja keine mehr.
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