: Down & out in Paris
Nichtklappendes Leben, französische Version: In „Die Anfänger“ kommen die kleinen Kinohelden noch mal mit einem blauen Auge davon ■ Von Hannes Klug
In wirtschaftlichen Krisenzeiten dürfte der Anteil von Wahrheit, den Filme wie „Die Anfänger“ enthalten, soziologisch betrachtet besonders hoch sein. Dann wächst eine neue Nischenkultur aus versprengten Subjekten wie Frédéric und Antoine: Individuen, irgendwann mal von irgendwem davongejagt, geschaßt, entlassen, rausgeschmissen, vor die Tür gesetzt, in den Arsch getreten und was es sonst noch so für Redewendungen gibt, um das Ende der Zugehörigkeit zu „sozialen Systemen“ zu beschreiben.
Sie schlüpfen in Räume, die eigentlich vergeben sind – ziehen mit einer Tasche bewaffnet bei jemand anderem ein, der gerade in den „States“, wie es hier heißt, mit irgendwas erfolgreich ist, und verranzen nach und nach, aber konsequent die Wohnung. Sie essen nur rechteckige Sachen, die in Jackentaschen passen und sich gut klauen lassen. Das einzige, was sie haben, ist Pech. Das einzige, was sie kriegen, sind Depressionen.
Down & out zu sein, ohne Geld und Job und Sexualleben sowieso, auf sich und die Unfähigkeit zurechtzukommen verwiesen, erklettert sich selbst schon wieder den Rang eines Mehrheitsphänomens und schleicht sich als kultureller Erfahrungsschatz auch ins Bewußtsein derer, die materiell besser dastehen. Und ist natürlich lustig.
„Die Anfänger“ ist eine kleine Komödie, die von den vergeblichen Anstrengungen handelt, ein Leben hinzukriegen, ein französischer Artverwandter von „Palookaville“. Szenarien des Scheiterns haben offenbar Konjunktur, und ihre Muster ähneln sich über die Kontinente hinweg beträchtlich. Frédéric ist ein ehemaliger Automechaniker, an dem Antoine vor allem dessen Fähigkeit beneidet, mit gutem Gewissen nichts zu tun. Antoine selbst tut ebenfalls nichts, zumindest nichts, was ihm etwas einbrächte, aber im Gegensatz zu seinem etwas einfältigeren Mitbewohner leidet er darunter.
Er arbeitet seit Jahren an einem Stück, das einfach nicht fertig wird, besitzt ein paar lose Kontakte zu Kreuzworträtsel- und Ratezeitschriftenverlagen, für die er, vereinzelt und unterbezahlt, Artikel und Rätsel schreibt. „Siehst du das Tänzerische dieser Darsteller? In deinem Artikel müßtest du die Choreographie des Regisseurs hervorheben.“ An dieser Stelle ist, Fernseher im Film, eine Kampfszene mit Bruce Lee zu sehen: ein intertextueller Kontrapunkt zur Statik, mit der bei Antoine seit Jahren nichts läuft.
Etwas passiert natürlich doch, wenn auch wenig Gutes: Frédéric wird beim Klauen erwischt, und Antoine muß ihn mit Einweckgläsern voller Kleingeld auslösen. Frédéric lernt eine Frau kennen.
Die Schauplätze des Films verlagern sich allmählich hinaus ins Freie, weg aus der düsteren Wohnung, deren Bewohner wahlweise billigen Weißwein trinken, Würfel spielen oder sich über mehr oder weniger laute Varianten des Pissens streiten. Die Wohnung wird gekündigt, und sie brauchen Geld für eine neue.
Das Fiasko, mit dem der Schritt in die etwas größere Kleinkriminalität endet, führt dann zu den blaugehauenen Augen, mit denen die beiden schon seit Wochen auf den Werbeplakaten für diesen Film sofort als Rundum-Dilettanten erkennbar sein sollen. Was in „Palookaville“ der Juwelier/Konditor und der Geldtransporter, ist hier die Schwarzgeldkasse – ausgerechnet – des Karateverlags. Der langjährige Hypochonder Antoine, in dessen Rolle François Cluzet stellenweise Dustin Hoffmann frappierend ähnelt, landet danach folgerichtig in der Psychiatrie.
Obwohl er ausdrücklich mit der Möglichkeit eines Endes kokettiert, verweigert „Die Anfänger“ (Regie: Pierre Salvadori) eine Auflösung. Auch wenn die beiden Hauptpersonen in der letzten Szene, beim Fußballspielen mit Kindern im Park, glücklicher aussehen als während des ganzen Films, ist doch klar, daß sie dort genausowenig dazugehören wie irgendwo anders. Soziale Mobilität ist halt auch nicht mehr das, was sie mal war.
Aber verlieren ist teilbar, Frieden ist möglich: entweder untereinander, wie unter Antoine und Frédéric, oder eben zwischen Film und Zuschauer. Das ist doch schon was. Die Bitterkeit bleibt hier trotzdem an allem – mal mehr, mal weniger – Komischen haften und gibt ihm eine Schattenseite. Aber das gleiche gilt natürlich auch umgekehrt, das Bittere bekommt eine Lichtseite.
Nicht nur aus Neugier sehenswert ist übrigens Guillaume Depardieu als Frédéric, in Aussehen und Auftreten eine schlaksige und linkische Nachbildung seines Vaters Gérard, von dem er die Frisur geerbt hat.
„Die Anfänger“. Regie: Pierre Salvadori. Mit: François Cluzet, Guillaume Depardieu, Judith Henry u.a., Frankreich 1996, 95 Min.
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