: Müzik in allen Lidschattierungen
Die Rückkehr des alten Westens: Türkische In-Lokale bringen neues Leben in die von allen guten Geistern verlassene Amüsiermeile rund um den Tauentzien. Ein Bericht zur Szenelage ■ Von Daniel Bax
Als die legendäre Diskothek „Dschungel“ in der Nürnberger Straße ihre Pforten schloß, endete eine Ära: Endgültig vorbei waren die chromblitzenden, neongrellen Jahre der Achtziger, die Zeiten hatten sich geändert. Das Berliner Nachtleben hatte sich längst in die dunklen, labyrinthischen Kellergewölbe des wilden Ostens verlagert. Die Nürnberger Straße, vor dem Fall der Mauer ein Zentrum der Westberliner Partypeople, verwaiste zusehends. Definitiv, wie es schien.
Doch unbemerkt von vielen ist die Straße in den vergangenen Monaten wieder zu neuem Leben erwacht. Während das Gros der Berliner Szenegänger sich in den ehemaligen Ostbezirken gegenseitig auf die Füße tritt, haben sich andere den hinterlassenen Raum angeeignet. Der „Dschungel“ heißt jetzt „Pasha's“, und damit hat sich einiges geändert. Das Licht ist gedämpft, sogar Kerzen stehen auf den Tischen, an denen sich Gruppen schick gekleideter Türken, Endzwanziger bis Mitdreißiger, bei opulent-orientalischem Essen und laut hallender Live-Musik vergnügen. Ein sehr weiblich gestikulierender Sänger mit Schnurrbart und Dauerwelle schweift, türkische Kunstmusik vortragend, durch die Reihen, wobei ihm die Gäste begeistert Applaus spenden. Der Sänger heißt Devren Caglar und ist in der Türkei ein mittlerer Star.
Zafer Gökbulut ist derjenige, der ihn nach Berlin eingeladen hat. Und nicht nur ihn: Jede Woche tritt im „Pasha's“ mal ein türkischer Popsänger, mal eine Gruppe auf – „Wie in Istanbul. Das Barkonzept dort ist ein ganz anderes: Essen, Trinken und Live-Musik an einem Ort. Hier ist das meistens getrennt“, erläutert Zafer Gökbulut. An den Wänden hängen Filmplakate für alte türkische Komödien und Hollywood-Streifen.
Die Umwandlung der einstigen In-Disko in eine türkische Nobeltaverne hat Zafer gemeinsam mit drei Partnern betrieben, das geschäftsführende Quartett kennt sich aus Studienzeiten an der TU. „Schlechte Zeit für Akademiker“, warum also nicht sich als Gastronom versuchen? Bei der Eröffnung im vergangenen November plante man das Ganze noch als Jazz-Bar, „aber das lief nicht so gut“, als Edelrestaurant mit türkischer Live-Musik hingegen entpuppte es sich als Renner. Nicht von allein natürlich. In Auftritte namhafter Interpreten wurde mindestens ebensoviel investiert wie in gehörige Werbung im türkischen Lokalfernsehen und auf Kiss FM, Mundpropaganda besorgte den Rest. Jetzt ist der Laden „in“, und ohne Tischreservierung geht nichts am Wochenende.
Zafer ist ein gemütlicher Typ, zwischen all seinen betont herausgeputzen Gästen wirkt er in seiner knuffigen Lederjacke fast ein wenig deplaziert. „Ist eigentlich nicht meine Welt“, gibt er zu. Ein etwas neureicher Odem liegt in der Luft, Typen in schwarzen Anzügen lächeln ihre Begleitung im roten Kostümen lange an, während am Nebentisch, wie ich mir sagen lasse, gerade ein Berliner Kickbox- Champion mit Sekt und mehrstöckiger Torte seinen Geburtstag feiert.
„Schade, daß so wenig Deutsche kommen“, bedauert Zafer und zuckt mit den Schultern: „Warum? Sag du's mir!“ Ob Mentalität oder Musikgeschmack, die Türken bleiben im „Pasha's“ unter sich, genauso wie im „Binbir“, dem Café am Ende der Straße. Was auf dem ersten Blick lediglich aussieht wie eine bessere Pizzeria, ist derzeit der bevorzugte Treffpunkt für junge türkische Nachtschwärmer.
Pop-Müzik tropft aus den Boxen, und hübsche Kellnerinnen balancieren dazu ihr Tablett im Takt. Freundinnen im Gespräch spielen mit ihren Locken, und Grüppchen von Jungs warten, jeder einen Tee und ein Handy vor sich, darauf, daß jemand anruft oder einen guten Vorschlag macht. Manchmal geht auch einer aufs Klo und ruft von dort aus seinen Freund am Tisch an, um ihn zu ärgern. Vom „Binbir“ aus verteilt man sich über die Stadt, bevorzugt in türkophone Diskotheken.
Seit dieser Woche muß man dafür nicht mehr weit laufen – gegenüber feiert, mit Soul, Funk, türkischem Pop und Schwaden pärfümierten Kunstnebels, der ehemalige „Zoo Club“ seine Auferstehung als „Club Papparazzi“. „Wir sorgen für die Musik, ihr fürs Gerede“, steht auf den Handzetteln, aber das läßt sich wohl nicht übersetzen. Atilla, der Chef, ist sich jedenfalls sicher: „Diese Straße wird zur türkischen Amüsiermeile.“
Seit längerem schon tobt sonntags in den gleichen Räumlichkeiten der „Gon-Club“. Gon steht für „Gay Orient Night“ und zieht wohl das bunteste Publikum im ansonsten recht monokulturellen Umfeld der „Nürnberger“ an: Schwule aller Lidschattierungen, aber auch junge Türkinnen und ihre Freunde. „Es gibt recht viele türkische Frauen, die gerne auf homosexuelle Veranstaltungen gehen“, weiß Selman Arikboga, der die Idee hatte, „dem Wunsch schwuler Ausländer, nach ihrer Musik zu tanzen“, entgegenzukommen. Gemischte Töne von Orientalisch bis House ziehen auch jene jüngeren Türken an, die nicht die gleichen Berührungsängste haben wie noch die Generationen vor ihnen.
Ohnehin ist das Verhältnis zur Homosexualität in der Türkei höchst ambivalent – so viele bekannte Transvestiten und Transsexuelle, die berühmte Musiker sind, gibt es wohl in keinem anderen Land. Aber bei aller Affinität, „man darf nicht darüber reden“, weiß Selman Arikboga, der das trotzdem tut. Sein „Gon-Club“ ist der schillerndste Stein im Mosaik des türkischen Nightlife, das sich vor allem um den Ku'damm formiert.
Ob es mit der zentralen Lage zu tun hat oder mit dem Unbehagen junger Türken vor dem Ostteil, daß sich gerade in der Westcity das türkische Angebot ballt, hat wohl mehrere Gründe. Der Ku'damm bietet offenbar immer noch einen gewissen Glamour und zudem die Möglichkeit, auf dem Weg nochmal Papas (oder den eigenen) Mercedes richtig auszufahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen