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Der Diktator hat seine Schatzkammer verloren

In Erwartung der Rebellen geht Zaires Südprovinz Shaba auf Distanz zum Mobutu-Regime  ■ Aus Lubumbashi Daniel Stroux

„Die Bevölkerung wartet auf Kabila. Er rennt hier offene Türen ein.“ Der Vertreter der zairischen Oppositionspartei UDPS in Lubumbashi bestätigt, daß Zaires Rebellenchef Laurent-Désiré Kabila bei den Menschen in der südlichsten Provinzhauptstadt des Riesenreiches Zaire noch viel höher in der Gunst steht als in der 2.000 Kilometer nordwestlich gelegenen zairischen Hauptstadt Kinshasa. Dort gilt er als „notwendiges Übel“, um „Diktator Mobutu“ zu stürzen. Aber in Shaba, seiner Heimat, wird Kabila verehrt.

Letzte Woche trat der Chef der AFDL („Allianz demokratischer Kräfte zur Befreiung von Kongo- Zaire“) zum ersten Mal in der frisch eroberten Hafenstadt Kalemie vor die Öffentlichkeit – 33 Jahre nachdem er hier zu studieren begann und knapp zwei Wochen nachdem seine Rebellen die Stadt am Tanganjikasee eingenommen hatten. „Wollt ihr, daß ich dieses Land befreie?“ rief Kabila. Von den etwa 10.000 Zuhörern auf dem überfüllten Fußballplatz von Kalemie erhielt er als Antwort ein kräftiges „Ja!“

Shaba, einst Katanga genannt, ist Zaires aufsässigste Provinz. Während der Wirren der sechziger Jahre spaltete sich Katanga einige Jahre lang ab. In den Jahren 1977 und 1978 überschritten Rebellen aus Angola die Grenze nach Katanga und verjagten die schon damals undisziplinierte zairische Armee aus den wichtigen Bergbauzentren. Das erste Mal wurde der sogenannte „80-Tage-Krieg“ von französischen, belgischen und marokkanischen Truppen beendet. Über 200.000 Zairer verließen daraufhin aus Angst vor Repressalien die Provinz Richtung Angola. Zurückbleibenden wurde, wohl zu Recht, Sympathie mit den Rebellen vorgeworfen. Auch die zweite, sechstägige Besetzung der Bergbaustadt Kolwezi durch Sezessionisten im Mai 1978 konnte vom zairischen Regime nur mit Hilfe ausländischer Truppen beendet werden. 1984 machte Kabila schon einmal mit einer dreitägigen Besetzung der Stadt Moba südlich von Kalemie am Tanganjikasee von sich reden. Auf Moba bewegen sich seine AFDL-Rebellen auch jetzt gerade wieder zu.

Zwar herrscht in allen Regionen Zaires Unzufriedenheit mit der Diktatur Mobutus. Aber Shaba mit seinem außerordentlichen Rohstoffreichtum hegt besondere Aversionen gegen das Regime. Die Provinz mit Kupferminen, den Kobalt-, Zink- und Manganvorkommen erwirtschaftete einst rund vierzig Prozent der zairischen Exporteinnahmen. Bis zu zwanzig Prozent des Gewinns der staatlichen Bergbaugesellschaft „Gécamines“ floß direkt in die Tasche von Mobutu, der damit seine Klientel und seine Bewacher bei Laune hielt. Auch die wichtigen Zolleinnahmen und die Einkommenssteuer gingen nach Kinshasa. Die Südprovinz war eine der lebenswichtigen Stützen der Diktatur – die Bevölkerung sah davon herzlich wenig.

Reich ist Shaba heute nur noch theoretisch. Mißwirtschaft, Mangel an Investitionen, Korruption und Schutzgelderpressung durch die „Sicherheitsdienste“ hatten die Gécamines schon Ende der achtziger Jahre ruiniert. Seit einem Grubenunglück 1990 ist zudem der wichtige Untertagebau äußerst eingeschränkt. 1992–93 machte die staatliche Hatz auf die Baluba- Minderheit, die seit der Kolonialzeit einen großen Teil des Führungspersonals im Bergbau stellte und daher viele Feinde in anderen ethnischen Gruppen hatte, der Produktion endgültig den Garaus. Wegen der rassistischen Gewalt der regionalen Regierungspartei „UFERI“ (Union des Féderalistes et Republicains Indépendants) mußten über 500.000 Menschen die Region verlassen und zogen in andere Teile Zaires. Mit der Vertreibung der Baluba brach die Produktion endgültig ein. Offiziell liegt die Kupferproduktion heute noch bei 10 Prozent des Niveaus von 1989, als fast 500.000 Tonnen gefördert wurden. Lastwagenweise allerdings geht auch Kupfer illegal über die Grenze nach Sambia. Lokale Größen bereichern sich.

Der Niedergang geht auch am Stadtbild Lubumbashis nicht spurlos vorbei. Der koloniale Charme der zwei- bis dreistöckigen Häuser im Zentrum der Provinzstadt ist zwar anders als in Kinshasa oder Goma noch vorhanden – aber doch dem Verfall preisgegeben. Nicht verfallen sind die Preise: Für ein Hotelzimmer ohne regelmäßige Warmwasserzufuhr und ohne funktionierende Fensterverriegelung sind 90 Dollar fällig. Es gibt zuwenig Gäste. Die Straßen, wie üblich in Zaire auch hier außerhalb der Straße zum Flughafen mit tiefen Schlaglöchern zerfurcht, sind bei Regen eine Qual auch für Fußgänger.

Die schärfsten Töne gegen die Ressourcenvernichtung kam in den letzten Jahren von der UFERI selbst, der stärksten politischen Kraft in Shaba. Der regionale Parteichef und Gouverneur Kyungu wa Kumwanza proklamierte seit 1993 mehrfach Shaba zur autonomen Region. Wahrend das zwar keineswegs zu mehr formeller Selbständigkeit führte, verhielten sich doch die Jugendmilizen der UFERI entsprechend dreist. Die hatten schon 1992 entscheidend zur Vertreibung der Baluba aus den Bergbaustädten Lubumbashi, Kolwezi und Likasi beigetragen. Mit der „ethnischen Säuberung“ mutierten sie zu paramilitärischen Einheiten, die sich danach mit den zairischen Regierungssoldaten um das Gewaltmonopol und somit um die Pfründen der Region stritten – zum Beispiel gestohlene Lastwagenladungen von Kobalt oder Kupfer, die über die Grenze nach Sambia geschmuggelt werden, wie die unabhängigen Menschenrechtsorganisation AZADHO berichtet. Der Herausgeber eines der wenigen Oppositionsblätter in Lubumbashi nennt Kyungu einen „politischen Vagabunden“, der mit der Gewalt gegen die Baluba die Ökonomie der Region zum Erliegen gebracht habe.

Das Motto der UFERI-Milizen – einer ihrer Kommandanten nannte sich „Ado Hitler“ – war, daß die „Katanger“ selbst für „Ordnung“ in „ihrer“ Provinz sorgen sollen. Das ging so weit, daß die Milizen Straßenbarrikaden gegen die Militärs errichteten, als Zaires Zentralregierung im Mai 1995 versuchte, sie zu entmachten. Die zairische Regierung in Kinshasa verlor damals fast die Kontrolle in Shaba. Schließlich wurde Gouverneur Kyungu wegen angeblichen Waffenhandels vom Dienst suspendiert, als er sich gerade in Kinshasa aufhielt. Seitdem ist die „alte Ordnung“ wiederhergestellt worden, und Gewaltmonopol und „Ressourcenverteilung“ befinden sich wieder in Hand des Regimes. Das aber befördert jetzt auch den neuen Unmut mit der zairischen Regierung und die Hoffnung auf die Rebellen.

„Jahrzehntelang sind wir von der Zentrale in Kinshasa ausgebeutet worden. Vom Reichtum dieser Region haben wir nichts gesehen“, sagt Kyungus einstiger Vize Stéphane Lukonde-Kyenge. Das sei auch nicht anders gewesen, als Kyungu Gouverneur gewesen sei. Noch im Sommer 1995 sei der UFERI jegliche Parteiaktivität verboten worden, man habe keinen Zugang mehr zu Fernsehen und Radio gehabt. Der nationale Parteichef der UFERI, Nguza Karl-i-Bond, habe zwar eine wichtige Rolle in der zairischen Regierungskoalition in Kinshasa gespielt, sich aber für Shaba nicht interessiert. Wegen all dieser Entwicklungen spaltete Lukonde- Kyenge im vergangenen Herbst seinen Parteiflügel als „UFERI- Original“ von der Partei ab. Die Vertreibung der Baluba bereut er trotzdem nicht: „Töten ist etwas Schlimmes, aber die Baluba wollten sich nicht integrieren, sie dominierten uns.“ Daß dabei über 7.000 Menschen starben, ist hier offenbar noch nicht kritisch aufgearbeitet worden.

Daß nun aus Ostzaire die Rebellen von Laurent-Désiré Kabila nach Shaba einmarschieren, verändert die politische Landkarte der Region. „Es herrscht Angst in der Stadt“, sagt ein Gesprächspartner in Lubumbashi. Alle fragen sich, was passiert, wenn die Regierung jetzt nicht auf das Ultimatum der Rebellen eingeht, die Mobutu zum Rücktritt bis zum 21. Februar aufgefordert haben. Die „UFERI- OR“ findet sich nun aufgrund ihres Bruchs mit Zaires Zentralregierung auf derselben Seite wie Kabila wieder und würde sich mit ihren Milizen einem Vormarsch der Rebellen wohl keineswegs widersetzen. Sie führt Listen der von der zairischen Regierung angeblich getöteten oder gefolterten Parteimitglieder. Ähnlich ergeht es derzeit allen Oppositionsgruppen in Shaba; nicht einmal Nichtregierungsorganisationen durften sich seit Ausbruch des Bürgerkrieges zusammensetzen, um Wahlbeobachtung und ähnliches für die eigentlich für dieses Jahr geplanten Wahlen und das Verfassungsreferendum vorzubereiten.

Die Gewalt von seiten der zairiaschen „Sicherheitsdienste“ ist erheblich gestiegen. Viele angebliche Sympathisanten Kabilas sind verhaftet und verschleppt worden, sagt ein Rechtsanwalt, der einer Menschenrechtsorganisation angehört. Gerade in der Heimatregion Kabilas am Tanganjikasee haben sich nach Angaben der UFERI-OR viele Familien vor der Verfolgung in den Busch schlagen müssen. Und schon seit Wochen überziehen plündernde Regierungssoldaten auf der Flucht vor den Rebellen die Region.

Noch allerdings versucht die zairische Zentralregierung ihren Willen auch in Shaba durchzusetzen. Im Januar wurden landesweit – auch in Shaba – neue Geldscheine im Wert von 100.000, 200.000 und 500.000 „Neuen Zaire“ eingeführt (eine, zwei und fünf Mark). Während die Opposition zum Boykott der neuen Scheine aufrief, wurden in Shaba mit ihnen die seit drei Monaten ausstehenden Gehälter der Gécamines ausgezahlt. Für die Gécamines-Angestellten war das ein zwiespältiger Gewinn, denn aufgrund des Oppositionsboykotts bildeten sich in Lubumbashi sofort zwei verschiedene Kurse: Die alten Banknoten waren ein Drittel mehr wert als die neuen. Und die Preise stiegen um fast das Doppelte. Die Gécamines-Angestellten verloren also innerhalb weniger Tage die Hälfte ihres Dreimonatsgehaltes – und sind sauer.

In solchen Vorkommnissen bilden sich Nischen für Opposition. Das staatliche Radio in Lubumbashi beispielsweise, das sich mit der aufkeimenden Konkurrenz von Privatradios nach und nach zivilgesellschaftlichen Gruppen und Parteien geöffnet hat, ließ unlängst einen Abgeordneten der christdemokratischen Oppositionspartei PDSC ans Mikrophon. Er verurteilte die Einführung der neuen Banknoten und rief die Bevölkerung zum Boykott auf. Daraufhin bekam der Radiochef Ärger mit dem Geheimdienst. Der Abgeordnete wurde zum Gouverneur einbestellt. Wegen seiner parlamentarischen Immunität weigerte er sich jedoch.

Was bedeutet also heute noch die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung in Lubumbashi? Die Unbeliebtheit einer nur zweifelhaft legitimierten, äußerst unpopulären Regierung steigt und treibt den Rebellen die Leute in die Arme. Von einer erneuten Sezession der Provinz kann jedoch kaum die Rede sein. Selbst UFERI-OR- Chef Lukonde-Kyenge tut diese vor allem im Ausland herumgeisternde Angst als „eine große Psychose“ ab.

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