: SPD strahlt weiter bis 2005
■ Führende Sozialdemokraten wollen erst in acht Jahren über den Ausstieg aus der Atomwirtschaft diskutieren. Widerstand von Umweltpolitikern der Partei. Währenddessen werden im Wendland Masten und Schienen gesägt
Berlin/Hannover (taz) – Mit dem Streit um die Atomkraft ist es wie mit dem Atommüll. Er strahlt aus und geht nicht mehr weg. Am Wochenende haben sich die Sozialdemokraten in den heftigsten Streit über die Zukunft der Atomkraft seit mehr als drei Jahren verwickelt.
Fachleute der SPD-geführten Landesregierungen in Niedersachsen und NRW hatten gemeinsam mit der Bonner Regierung einen Konsens zum Ausstieg aus dem Ausstieg ausgehandelt. In den Bergwerken Schacht Konrad (bei Salzgitter) und Morsleben (bei Helmstedt) soll danach Atommüll eingelagert werden dürfen. Die Verhandlungen über den Ausstieg aus der Atomwirtschaft sollen gleichzeitig auf das Jahr 2005 vertagt werden. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Schwanhold, erklärte, seine Partei habe sich vom schnellen Atomabschied verabschiedet. Zwischen SPD und Union gebe es eine Annäherung.
Mit diesem Abschied der SPD vom Ausstieg wollten sich jedoch die Umweltpolitiker Hermann Scheer und Michael Müller nicht so einfach abfinden. In einer gemeinsamen Erklärung warnten sie: „Es wäre ökologisch falsch, weil der Einstieg in die Solar- und Einsparwirtschaft verbaut würde.“ Und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner schrieb einen Brief an seinen Parteichef Oskar Lafontaine, in dem er um Beistand gegen die Pläne aus Hannover und Düsseldorf bittet.
Die Sprecherin der Bundes-SPD, Dagmar Wiebusch, versuchte vergeblich zu erklären, was der Sachstand ist. Einerseits gebe es keine Veränderung der Beschlußlage. Die sieht den Ausstieg aus der Atomkraft binnen zehn Jahren und nicht die Verschiebung der Ausstiegsverhandlungen um zehn Jahre vor. Andererseits sei es „richtig, daß auf der Fachebene Gespräche über die Entsorgung radioaktiven Mülls stattfinden“.
Aufklärung gab es aus der niedersächsischen Staatskanzlei. Der Segen des SPD- Präsidiums für das Papier stehe noch aus. Erst wenn sich die SPD-Parteiführung mit den Kompromissen beschäftigt habe, könnten die letzten strittigen Punkte auf politischer Ebene geklärt werden, sagte Regierungssprecher Heye gestern in Hannover. Eine weitere politische Konsensrunde zwischen SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering, Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder und den CDU-Ministern Angela Merkel und Friedrich Bohl sei allerdings noch für diesen Monat geplant.
Die Atomkraftgegner und -gegnerinnen im Wendland kommentierten das Geschachere in der SPD-Spitze auf ihre Weise. 2.500 Menschen aus der Region demonstrierten am Samstag ihre Bereitschaft zum Widerstand gegen den für Anfang März geplanten Castor-Transport. Nach einer Kundgebung in Zernien nahmen die Castor-Gegner von sich aus die Strecke Uelzen–Dannenberg in Augenschein. Bei dem aktiven Spaziergang fielen entlang der Bahnlinie etwa 30 Telegrafenmasten der Säge zum Opfer. Das Gleisbett blieb am zahlreichen Stellen unterhöhlt zurück. Zur gleichen Zeit blockierten 60 Landwirte der „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ wiederholt die Bundesstraße zwischen Uelzen und Dannenberg.
Jürgen Voges/ten Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen