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Täter oder Opfer?

■ Der Dokumentarfilm "Asaltar los Cielos" (Panorama) erzählt die Geschichte der spanischen Linken am Beispiel des Trotzki-Attentäters Ramon Mercader

Am 30. August 1940 wird Leo Trotzki im mexikanischen Exil mit einem Eispickel ermordet. Der Name seines Mörders ist Jacques Mornard. So nennt er sich zumindest. Sein wahrer Name ist Ramón Mercader, geboren in Spanien, ausgebildet in der UdSSR und von Stalin beauftragt, seinen letzten verbliebenen Kontrahenten zu beseitigen.

Die beiden spanischen Dokumentarfilmer José López-Linares und Javier Rioyo beginnen „Asaltar los Cielos“ mit Bildern eines Auftritts der Rolling Stones in Barcelona 1976. Dann geht der Blick zurück bis 1892, ins Jahr, in dem Mercaders Mutter Caridad geboren wurde: Die Fabrikantengattin Caridad verläßt ihren Mann, wird Anarchistin, die Familie ist mitten in der Revolution. Während des Bürgerkriegs werden auch die Mercader-Kinder wie die vieler anderer spanischer Kommunisten in die UdSSR verschickt. Aus einem dreimonatigen Aufenthalt werden Jahre, die Kinder wachsen auf, werden ausgebildet und sind plötzlich heimatlos.

Ein erstes Attentat auf Trotzki scheitert an zuviel Tequila. Dann wird Mercader auf den Abweichler angesetzt. Trotzki lebt zu dieser Zeit im Haus von Frida Kahlo, mit der er eine Affäre hat. Nach dem Attentat sitzt Mercader zwanzig Jahre in Mexiko ein, geht nach seiner Entlassung in die UdSSR und verbringt seinen Lebensabend schließlich auf Kuba.

Der Film versucht eher die Geschichte der spanischen Linken nachzuzeichnen, als ein Porträt des Attentäters abzuliefern. Photos mit Mercader sind rar, wie es sich für einen richtigen Agenten gehört. Interviews dominieren deshalb „Asaltar los Cielos“. Interviews mit spanischen und sowjetischen Parteigenossen, mexikanischen Zellengenossen, Verwandten, Trotzkis Enkel, kubanischen Funktionären, amerikanischen Bodyguards.

Interviews, die in all ihren widersprüchlichen Einschätzungen vor allem eines klarmachen: Mitten in einem Historiengemälde blättert sich da ein Leben auf, das so schicksalhaft mit den großen politischen Linien dieses Jahrhunderts verwoben ist, daß sich Mercader vom Mörder zum eigentlichen Opfer wandelt. Sein Leben lang wurde er von Mutter, Revolution und KGB auf den Mord vorbereitet. Und als er schließlich seine Pflicht erfüllt hatte, wollte eigentlich auch die Partei nichts mehr von ihm wissen. Er kam nicht als Held zurück ins Land der Oktoberrevolution, seine Ankunft wurde geheimgehalten. Und auf seinem Grabstein fehlte lange Zeit sein richtiger Name.

Es gibt witzige Stellen in diesem Film. Wenn zum Beispiel einer der Genossen von einem Kollegen erzählt, der immer seine Ordensammlung anlegte, wenn er einkaufen ging, um nicht Schlange stehen zu müssen. Oder wenn man erfährt, daß sich Fidel Castro noch 1960 jede Nacht in den Kneipen Havannas herumgetrieben hat.

Aber vor allem ist es ein sehr, sehr trauriger Film. Ein anderer Parteigenosse erzählt, daß Mercader einmal zu ihm gesagt habe: „Es ist ein bitteres Leben, aber es ist mein eigenes.“ Und genau das war es eben nicht. Thomas Winkler

„Asaltar los Cielos – Sturm auf den Himmel“. Spanien 1996. 94 Min. Regie: José López-Linares, Javier Rioyo

Heute: 11 Uhr Filmpalast

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