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Stasi-Kamera filmte Einheitsdemo mit

■ Morgen beginnt Prozeß wegen Mordversuchs an Polizistin am 3. Oktober 1990. Verteidigung: Anklage nicht haltbar

Der angebliche Mordversuch an einer jungen Polizistin im Oktober 1990 hatte Kripo und Staatsanwaltschaft nicht ruhen lassen. Nach jahrelangen Ermittlungen ist es ihnen nun gelungen, einen mutmaßlichen Tatverdächtigen vor Gericht zu stellen. Morgen beginnt vor dem Landgericht der Prozeß gegen den 31jährigen Schotten Alan C. Die Verteidigung geht jedoch davon aus, daß die Anklage wegen versuchten Mordes nicht haltbar ist und ihr Mandant wegen mangelnder Beweise freigesprochen werden muß.

Es geschah nach der Anti-Einheitsdemo am 3. Oktober 1990 unter dem Motto „Deutschland, halt's Maul“ mit über 10.000 Teilnehmern. Nach der Abschlußkundgebung lieferten sich rund 800 Personen mit der Polizei eine Straßenschlacht rund um den Alexanderplatz. Die Staatsanwaltschaft stützt ihren Vorwurf gegen den Schotten unter anderem auf einen Videofilm, der von einer am Alex installierten Stasi-Kamera aufgenommen worden war. Der Film zeigt angeblich, wie ein Mann mit einer zwei Meter langen und mehreren Zentimeter dicken Zeltstange auf eine an einem Gruppenfahrzeug stehende Polizistin einschlägt. Die Anklage wegen versuchten Mordes wird damit begründet, der Täter sei von „blindwütigem, politischen Haß“ angetrieben gewesen.

Laut Ankläger erlitt die Betroffene durch den vom Helm abgelenkten Schlag eine schwere Gehirnerschütterung. Der Vorfall war damals erst zehn Tage nach der Tat auf einer spektakulären Pressekonferenz des damaligen Polizeipräsidenten Georg Schertz bekanntgegeben worden, in der auch Teile des Videos gezeigt wurden. Auch Schertz sprach seinerzeit von einer schweren Gehirnerschütterung und griff eine Ärztin im Waldkrankenhaus heftig an, die die Betroffene unmittelbar nach der Tat behandelt hatte. Die Polizistin sei dort „völlig unzureichend untersucht“ worden, sagte Schertz.

Der Hintergrund: Die Ärztin hatte keine Gehirnerschütterung festgestellt. Die Patientin habe nur über Schmerzen im Ellenbogen geklagt und „sei sehr ängstlich und verschreckt“ gewesen“, wies damals der Leiter der chirurgischen Abteilung, Dr. Lüdtke-Handjery, den Vorwurf zurück. Der Polizeipräsident glaubte jedoch mehr der Diagnose des Hausarztes der Betroffenen, der am Tag nach der Tat eine schwere Gehirnerschütterung festgestellt hatte.

Nach Angaben von Verteidigerin Undine Weyers ist das Gesicht des Schlägers auf dem Video nicht zu erkennen. Ihr Mandant sei im Janaur 1996 in Amsterdam festgenommen worden, nachdem er dort von einem V–Mann angezeigt worden sei, der Gesuchte auf den Fahndungsfotos zu sein. Die Phantombilder wurden aufgrund der Angaben von Polizeizeugen gefertigt. Weyers geht davon aus, daß der Schotte nicht als Täter identifiziert werden kann. Was den Mordversuch angeht, verwies sie auf den Beschluß einer anderen Kammer des Landgerichts. Jene habe sich geweigert, den Prozeß zu eröffnen, weil sie nur schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung als erfüllt ansah. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin habe das Kammergericht den Prozeß wegen versuchten Mordes bei einer anderen Strafkammer angeordnet. Plutonia Plarre

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