: EU-Kommission künftig auf Bewährung
■ Kommissionspräsident Santer kündigt unter dem Druck des Europaparlaments eine Reform der Agrarpolitik an – hin zu einer natürlicheren Produktion
Brüssel (taz) – Das Europäische Parlament will die BSE-Krise nutzen, um endlich auch in der EU- Agrarpolitik mitreden zu können. Abgeordnete der konservativen Volksparteien, der Sozialdemokraten und der Grünen kündigten gestern an, die EU-Kommission mit einem Mißtrauensvotum auf Bewährung unter Druck zu setzen. Sie fordern nicht nur Konsequenzen aus den im BSE-Untersuchungsausschuß zutage getretenen Mißständen, sondern auch das Recht, künftig bei allen Agrar-Fragen mitentscheiden zu dürfen.
Bis Ende des Jahres soll ein Parlamentskomitee kontrollieren, ob die Brüsseler Kommission die vom Parlament geforderten Konsequenzen aus dem BSE-Skandal zieht. Sollte das Ergebnis unbefriedigend sein, werde das EU-Parlament die Kommission abwählen. Die für ein Mißtrauensvotum nötigen Unterschriften liegen bereits vor, sollen aber bis Dezember in der Schublade bleiben.
EU-Kommissionspräsident Jacques Santer räumte gestern in Straßburg ein, daß die Fehler bei der Bewältigung der BSE-Krise auch eine Folge der bisherigen Kommissionsstruktur seien. Die Überwachung der Lebensmittelgesundheit werde künftig nicht mehr bei der Agrarabteilung, sondern bei den Verbraucherschützern in der EU-Kommission liegen. Auf diese Weise hofft Santer, den undurchsichtigen Filz der bisherigen Agrarpolitik aufzuweichen. Auf die Forderung des BSE- Untersuchungsausschusses, Beamte kaltzustellen, die sich der Vertuschung von Gefahren für den Menschen und der Verschleppung von Maßnahmen schuldig gemacht haben, ging Santer nur sehr vorsichtig ein. Es werde personelle Veränderungen geben, versprach Santer.
Der EU-Kommissionspräsident versuchte statt dessen, das Europaparlament für eine Reform der Agrarpolitik hinter sich zu bringen. Die Landwirtschaft müsse zu einer natürlicheren Produktion zurückgeführt werden, bei der „Qualität, Umweltschutz und das Wohlergehen der Tiere“ im Vordergrund stünden. Santers Appell an das EU-Parlament, ihn dabei zu unterstützen, zielt vor allem auf den Ministerrat, in dem die Landwirtschaftsminister der Mitgliedsländer vertreten sind. Denn dort werden bisher die wichtigen Entscheidungen gefällt, und dort sind auch die größten Widerstände gegen eine grundlegende Reform zu erwarten. Mehr als die EU-Kommission fürchten die Landwirtschaftsminister, daß dabei finanzielle Nachteile für ihre Klientel entstehen könnten. Damit Santer seine Versprechen einlöst, will das Parlament den Druck durch das Mißtrauensvotum auf Bewährung aufrechterhalten. Alois Berger
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