: Aufstand der Bürgermeister
■ Der Rat der Bürgermeister lehnte Senatsvorlagen zur Gebietsreform ab. Die Zusammenlegung der Bezirke ist damit in Frage gestellt. Eberhard Diepgen rückt von Reduzierung auf zwölf Bezirke ab
Der Rat der Bürgermeister hat gestern mit überwältigender Mehrheit gegen die Gebietsbezirksreform gestimmt. Bei 22 Ja- Stimmen gab es nur eine Gegenstimme – aus Reinickendorf. Das Gremium der 23 Bürgermeister lehnte damit nicht nur die Verringerung auf zwölf Bezirke ab, sondern auch das von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) vorgeschlagene Verfahren. Schönbohm wollte zunächst die 23 Bezirke aus der Verfassung streichen. In einem zweiten Schritt wollte er die Bezirke zusammenlegen, was dann mit einer einfachen Mehrheit möglich wäre.
Der Rat der Bürgermeister befand gestern, daß die Zusammenlegung ein so erheblicher Einschnitt sei, daß dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei. Außerdem müsse über die Gebietsreform eine Volksabstimmung herbeigeführt werden.
Zuvor hatte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) noch versucht, den Rat der Bürgermeister zu einer Verschiebung der Abstimmung zu bewegen. Statt dessen nahmen die Bürgermeister einen Bericht ihrer „Arbeitsgruppe Gebietsreform“ an, die zu einem niederschmetternden Urteil über das Vorhaben kommt. Dem vierköpfigen Gremium gehören die Bürgermeister von Kreuzberg (Grüne), Treptow (SPD), Marzahn (PDS) und Steglitz (CDU) an. Diepgen hatte vergeblich versucht, die Bürgermeisterrunde dazu zu bewegen, das Papier lediglich als „Zwischenbericht“ zur Kenntnis zu nehmen.
Als „beliebig“ hat der Rat der Bürgermeister die Behauptung des Senats zurückgewiesen, daß ein Bezirk mit einer Einwohnerzahl von 300.000 eine optimale Größe habe. Die Bürgernähe der Verwaltung sei unabhängig von der Größe eines Bezirks. Auch die Annahme des Senats, eine Reduzierung der Bezirke führe zu mehr Bürgernähe, mehr Demokratie und einer erhöhten Leistungsfähigkeit, sei durch nichts belegt. Außerdem falle der vom Senat berechnete Einspareffekt zu hoch aus, weil er auf überholten Stellenplänen beruhe. Nach eigenen Berechnungen der Arbeitsgruppe ließen sich beim 12er-Modell insgesamt 68,5 Millionen Mark sparen. Der Senat war vom doppelten Betrag ausgegangen. Außerdem bedeute die Zusammenlegung der Bezirke einen schwerwiegenden Rückschlag für die Verwaltungsreform.
Die Umsetzung der Gebietsreform ist mit dem Beschluß in Frage gestellt. Gegen den Widerstand der Bezirksbürgermeister läßt sich das Projekt kaum durchsetzen. Außerdem finden in einigen Bezirken ab Mai Bürgerversammlungen zur Gebietsreform statt. „Da kann schnell eine Stimmung entstehen, gegen die man nicht von oben per Dekret ankommt“, schätzte gestern der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Bündnisgrüne) die Lage ein. Eberhard Diepgen bereitete gestern im Rat der Bürgermeister schon den geordneten Rückzug vor. Er ließ durchblicken, daß er sich auch eine andere Zahl als 12 Bezirke vorstellen könne. Dorothee Winden
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