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Schweizer Löcher in Europas Käse

■ Schweiz ist Schmuggel-Drehscheibe, meint das Europaparlament

Brüssel (taz) – Ganze Lastwagen mit Videorekordern verschwinden spurlos, ukrainische Briefkastenfirmen ordern mehr Zigaretten, als die Bevölkerung in zehn Jahren rauchen könnte, für Kroatien bestimmte Zuckerlieferungen landen im italienischen Wein.

Ein Untersuchungsausschuß des Europaparlaments deckt auf, wie die Staaten der EU jedes Jahr um mindestens 40 Milliarden Mark an Zöllen geprellt werden. Doch weil die Regierungen an Computern sparen, ersticken die Behörden in einem absurden Papierkrieg. Den Effekt beschrieb der britische Labour-Abgeordnete und Ausschußvorsitzende John Tomlinson gestern in in Straßburg so: „Nur schlechte Schmuggler werden geschnappt.“

Allein in der deutschen Zollzentralstelle in Hamm müßten weniger als zehn Beamte täglich 19.000 Frachtpapiere kontrollieren. Wenn den Kontrolleuren die gröbsten Ungereimtheiten auffallen, liegt der Fall oft ein Jahr zurück. Für eine lückenlose Aufklärung ist es meist zu spät.

Ein Grund für die Schwerfälligkeit: Das System wurde schon in den 60er Jahren für die damals sechs EG-Länder geschaffen. Heute betreffe das Transitsystem insgesamt 23 Länder – die der Union und des Europäischen Wirtschaftsraums, die Schweiz sowie Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn.

Allerdings sei auch bei den Regierungen eine auffallende Zurückhaltung beim Kampf gegen den Schmuggel zu beobachten, meinte Tomlinson. Der Grund ist wohl, daß der Schaden in der Regel nicht in dem Land passiert, in dem Betrug gefingert wurde.

Das System ist denkbar einfach: US-Zigaretten beispielsweise, die laut Frachtpapiere vom Rotterdamer Hafen durch die EU in die Ukraine transportiert werden sollten, werden irgendwo in Deutschland abgeladen. Gefälschte polnische Papiere bestätigten dagegen die ordnungsgemäße Ausreise der Kippen. Die Zigaretten landen auf dem deutschen Schwarzmarkt, ohne Zoll und Mehrwertsteuer.

Seltsamerweise fahren mehr als ein Viertel aller Lastwagen durch die Schweiz, obwohl das selten der kürzeste Weg ist. Der Grund: Die Schmuggelfirmen können dort legal arbeiten und sich mit den nötigen Papieren ausstatten. Schweizer Gesetze gelten nur bei Betrug gegen die Schweiz, wer die EU prellt, muß nichts fürchten.

Bei mehr als der Hälfte aller aufgedeckten Betrugsfälle standen Schweizer Firmen Pate. Der Untersuchungsausschuß fordert deshalb, daß die Handelsverträge der EU mit der Schweiz neu aufgerollt werden müßten, um die Regierung zur Zusammenarbeit zu zwingen.

Doch nicht nur die Schweiz, auch die EU-Regierungen müßten aufwachen. Das umständliche System der Frachtpapiere „lädt zum Betrug geradezu ein“. Die Einführung eines europaweit vernetzten Zollcomputers sei seit Jahren überfällig. Die Regierungen fürchten schärfere Kontrollen wie der Teufel das Weihwasser. Holland etwa will auf keinen Fall EU-Kontrolleure in den Rotterdamer Hafen lassen. Das könnte die Geschäfte stören. Alois Berger

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