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„Ich hoffe auf eine politische Liberalisierung“

■ Die Schwester des inhaftierten Dissidenten Wei Jingsheng über die Folgen des Todes von Deng Xiaoping: „Die Demokratiebewegung hat noch einen langen Marsch vor sich“

Shan Shan Wei-Blank (42) lebt seit 1990 in Deutschland. Ihr Bruder Wei Jingsheng (46) ist der wohl bekannteste chinesische Regimegegner. Wegen seines Engagements für die Demokratie sitzt er seit 1979, mit Ausnahme von sechs Monaten, in Haft.

taz: Ihr Bruder hat Deng Xiaoping persönlich attackiert. Hat er nun Aussicht auf Freilassung?.

Shan Shan Wei-Blank: Ja. Die Verurteilung meines Bruders entbehrte jeglicher Grundlage – es war ein reiner Schauprozeß, der dem Ansehen Chinas schadete. Das wissen auch viele innerhalb der Staatsführung. Aber solange Deng Xiaoping lebte, traute sich keiner, das auszusprechen. Deng Xiaoping war persönlich gegen die Freilassung meines Bruders. Er hat mehrfach erklärt, Wei Jingsheng sei kein Dissident, sondern ein bürgerlicher Liberaler. Gegen solche Leute müsse mit harter Hand vorgegangen werden.

Was haben Sie empfunden, als Sie von Dengs Tod hörten?

Ich dachte: Jetzt hat mein Bruder eine Chance. Um sein internationales Ansehen zu verbessern, muß China die Dissidenten freilassen und die Lage der Menschenrechte verbessern. Viele in der chinesischen Staatsführung hatten Angst, die Schuld für das Massaker am Tiananmen auf sich zu laden. Aber niemand hätte es gewagt, gegen Deng Xiaoping den Mund aufzumachen – den wahren Verantwortlichen für das Massaker. Jetzt, wo der mächtige Führer nicht mehr da ist, haben solche Leute vielleicht eine Chance, sich durchzusetzen.

Sie glauben an eine politische Liberalisierung?

Ja. Ich hoffe darauf.

Auf welche Politiker hoffen Sie?

Zhao Ziyang, den wegen seiner Gegnerschaft zum Massaker vom Tiananmen geschaßten Partei- und Staatschef, aber auch auf den derzeitigen KP-Chef Jiang Zemin – man weiß vorher nie so genau.

Aber gerade Jiang Zemin gilt als treuer Gefolgsmann Dengs, als Gegner politischer Reformen.

Bis zu Maos Tod galt auch Deng Xiaoping als Vertreter von dessen harter Linie. Er sagte, er werde Maos Ideen ewig verbreiten. Aber dann fing Deng Xiaoping mit Wirtschaftsreformen an. China braucht unbedingt eine politische Reform. Mittlerweile hat die Korruption solche Dimensionen angenommen, daß sie den Staat bedroht. Deng Xiaoping und seine Familie haben Unsummen ins Ausland geschafft. Auf diese Weise wird Chinas Wirtschaft ruiniert.

Was bedeutet Deng Xiaoping für die Chinesen?

Anfangs hielten ihn viele für einen Liberalen. Auch mein Bruder hoffte auf ihn. Aber nach der Niederschlagung des ersten Pekinger Frühlings 1979 und dem Tiananmen-Massaker war der Ruf Deng Xiaopings unter den Kritikern ruiniert. Seine Familie hat sich zudem skrupellos bereichert. Deswegen ist er auch in der einfachen Bevölkerung unbeliebt.

Gibt es deswegen kaum Anzeichen von Volkstrauer?

Ich habe gehört, daß einige Leute jetzt vor Freude kleine Flaschen zerschmettern [Der Name Xiaoping bedeutet, leicht verändert: Kleine Flasche, richtig: Kleiner Frieden, d. Red.].

Unter Dissidenten wird ihr Bruder der Nelson Mandela Chinas genannt. Mandela ist mittlerweile Präsident. Wird auch Wei Jingsheng einmal eine Führungsposition im chinesischen Staat übernehmen?

Das glaube ich nicht. Die chinesische Demokratiebewegung hat noch einen langen Marsch vor sich. Vielleicht werden wir ihren Erfolg nicht mehr erleben. Ich glaube nicht, daß sich China so schnell verändert wie Südafrika. Gegen Südafrika wurde ein internationaler Boykott verhängt. Bei einem so großen Land wie China ist das nicht so einfach. Interview: Thomas Dreger

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