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Mostar kommt einfach nicht zur Ruhe

Kroatische Extremisten zeigen keine Bereitschaft, in der herzegowinischen Hauptstadt mit ihren muslimischen Nachbarn in Frieden zu leben. Die Übergiffe nehmen wieder zu  ■ Aus Mostar Erich Rathfelder

Über der geteilten Stadt an der Neretva liegt eine Spannung, die selbst für Unbeteiligte sofort zu spüren ist. Die Brücken über den Fluß, die den kroatischen und den muslimischen Teil Mostars verbinden, sind leer. Die Ängste sind alles andere als unberechtigt. Kroatische Extremisten haben erst gestern nacht in Mostar eine spanische Patrouille der Friedenstruppe SFOR mit Panzerfäusten unter Beschuß genommen. Bei dem Angriff im Westen der Stadt wurde nach SFOR-Angaben kurz nach Mitternacht ein gepanzertes Militärfahrzeug beschädigt. Nach Polizeiberichten haben sich Muslime und Kroaten in der westherzegowinischen Stadt auch erneut beschossen. Am Montag vergangener Woche hatten Kroaten einen Muslimen erschossen und zahlreiche Menschen verletzt.

Im kroatischen Westteil werden die Anschuldigungen zurückgewiesen. Und die Gegenrechnung aufgemacht: 50 Kroaten, die nach Sarajevo unterwegs gewesen wären, seien von Muslimen aus ihren Autos gezerrt und verprügelt worden. Im Ostteil der Stadt bestreitet man das nicht. Das seien spontane Reaktionen von Jugendlichen gewesen, die auf die Schüsse und Prügelszenen vom 10. Februar regiert hätten. Die Reaktionen seien verständlich nach der Vertreibung von mindestens 28 muslimischen Familien aus dem Westteil der Stadt.

Am Rondo, einem Platz im Westteil, wollten Kroaten am 10. Februar Karneval feiern. Gleichzeitig war dies der zweite Tag des Bajram, des höchsten muslimischen Feiertags. Und an diesem Tag ist es für Muslime Sitte, der Verstorbenen auf den Friedhöfen zu gedenken. Der kaum 300 Meter von dem Rondo entfernte Friedhof mit muslimischen Gefallenen aus dem ersten Krieg gegen die serbische Armee im Jahre 1992 war Zielpunkt von rund 200 Menschen, die von dem Vize-Bürgermeister Safet Orucević und dem Mufti angeführt wurde.

Was genau geschah, will die Internationale Polizei IPTF klären. Nach dem bisherigen Kenntnisstand winkte eine Polizistin der IPTF die Menge in Richtung des Friedhofes. Kurz darauf wurde sie von kroatischen Polizisten und von Zivilisten umringt, die nach Einschätzung der International Crisis Group vor allem aus Spezialeinheiten der Polizei bestanden. Die Kroaten schlugen auf die Friedhofsbesucher ein, Schüsse fielen, wahrscheinlich aus der Pistole von Marko Radic, Kriegsname Make. Dieser gilt bei den Muslimen als ein berüchtigter Mörder, bei den Kroaten als Kriegsheld.

Die spanischen SFOR-Truppen hatten sich kurz vor der Attacke zurückgezogen, lediglich ein gepanzertes Fahrzeug soll die Szenerie beobachtet haben, ohne einzugreifen. Dies wiederum ließ die Emotionen im Ostteil der Stadt auch gegenüber den internationalen Truppen hochkochen. Die katholischen Spanier gelten selbst bei Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen als prokroatisch. Wegen dieses Zwischenfalls sollten die Spanier aus der Stadt abberufen und durch französische und marokkanische Truppen ersetzt werden. Seither beklagen sich die Kroaten: Die neuen Truppen scheuten sich nicht, kroatische Autofahrer anzuhalten und nach Waffen zu durchsuchen.

Jetzt hält eine trügerische Ruhe. Ein paar Signale des Friedenswillens werden ausgesandt. 26 der 28 aus dem Westteil vertriebenen muslimischen Familien kehrten wieder in ihre Wohnungen zurück. Dennoch würde nach Einschätzung internationaler Polizisten eine Provokation genügen, um die Emotionen zum Siedepunkt zu bringen.

Zwar gelang es den Repräsentanten der Bildt-Administration, Michael Steiner und Sir Martin Garrod, eine Übereinkunft zwischen beiden Seiten zu vermitteln. In einem 12 Punkte Programm sollen strittige Fragen gelöst werden. Doch selbst Mitarbeiter des „Hohen Repräsentanten“ zweifeln, ob diese Strategie langfristig von Erfolg gekrönt sein wird.

Systematisch wurden bisher die Ergebnisse der Wahlen von vor acht Monaten sabotiert. Noch ist keines der sechs Bezirksparlamente der Stadt zusammengetreten. Der kroatische Bürgermeister, der als gemäßigt gilt, regiert von seinem Privatbüro aus. Es gibt keine gemeinsame Stadtverwaltung, die gemeinsame Polizei ist nach dem Auszug der kroatischen Polizisten zerbrochen. Und diese weigern sich, Übergriffe der eigenen Seite zu untersuchen oder Täter zu verfolgen. „Rechtsstaatlichkeit“, so ein Mitarbeiter internationaler Organisationen, der wegen der Abstrafung von Kollegen, die sich öffentlich geäußert haben, nicht genannt werden will, „ist hier weiterhin ein Fremdwort“.

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