Mit „Die Rache der Geschichte“ trifft eine Amerikanerin den deutschen Nerv

Das Buch war noch nicht in Deutschland erschienen, da hatte es bereits die ersten Verrisse weg: Tina Rosenbergs „Die Rache der Geschichte“ (Hanser). Mit ihrem „Geplapper“ würde die „altkluge, junge Dame aus New York“ die Opfer trivialisieren, schimpfte der Tagesspiegel. Matthias Matussek legte im Spiegel noch einen drauf. Das Buch von Rosenberg, für das sie in den USA den Pulitzer-Preis erhielt und das Täter und Opfer in kommunistischen Diktaturen beschreibt, lese sich, „als hätte sie sich vorwiegend in der Pressestelle der PDS aufgehalten“. Udo Scheer kritisierte in der taz: „Erlebte Geschichte wird zum Supermarkt.“

Im deutschen Feuilleton entbrannte eine Debatte, die sich nicht nur mit den unbestrittenen Stärken und den Klischees des Buches auseinandersetzte. Viele Beiträge sagten mehr über die Rezensenten und ihr Verhältnis zum Umgang mit der Vergangenheit aus als über das Buch selbst. Und in fast allen Beiträgen wurde nur das Kapitel über Deutschland wahrgenommen – ein Drittel des Buches. Auch die Nationalität der 36jährigen Journalistin der New York Times erregte Anstoß. In typisch amerikanischer Manier, so Matussek, habe sie unter dem Motto „Ich und die Krauts“ alte Vorurteile reproduziert.

Daß es ausschließlich Amerikaner sind, deren Beschreibungen der deutschen Vergangenheit und Gegenwart in jüngerer Zeit für so viel Zündstoff sorgten, hat wohl weniger mit den Autoren zu tun. Im Land des deutschen „Juniorpartners“ mit Regionalmachtsambitionen schwankt man immer noch zwischen dem Buhlen um Anerkennung und herablassendem Zweifel an der intellektuellen und moralischen Kompetenz in den USA. In deren Spiegel, so der Spiegel, darf sich „der Deutsche“ als „unsicherer Lieblingsfreak des großen amerikanischen Bruders erleben“, von dem er am liebsten seine Packung beziehe – „Züchtigung und Vergebung inklusive“.

Nun wird, wer sich länger in den USA aufhält, feststellen, daß der Deutsche ebenso wie der Franzose dem Amerikaner herzlich egal ist. Was nicht ausschließt, daß hin und wieder ein paar Historiker und Journalisten über Deutschland schreiben. In jüngster Zeit haben dies neben Tina Rosenberg auch Daniel Goldhagen mit seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ und Jane Kramer, die Reporterin des New Yorker, mit „Unter Deutschen“ getan. Alle drei lösten mit unterschiedlicher Vehemenz eine neue Runde in der deutschen Debatte über Identität, Selbstreflexion, Täter und Opfer und den „richtigen“ Umgang mit der Geschichte aus. Als hätte man mangels eigener neuer Anstöße und Provokationen nur darauf gewartet, daß jemand aus Amerika dem Selbstfindungsritual des „Lieblingsfreaks“ einen neuen Kick gibt.

Aber auf ihre ganz eigene und höchst unterschiedliche Weise haben die drei Autoren auch einen Nerv in der deutschen Debatte getroffen: den Widerspruch zwischen der ungebrochenen Energie der Deutschen, sich mit ihrer Vergangenheit, und dem Unwillen, sich mit den Tätern zu befassen. Goldhagen schuf mit seinen Beschreibungen der „willigen Vollstrecker“ Psychogramme von ganz normalen Deutschen, die bei den etablierten Holocaust-Experten mit ihren abstrakten Analysen kaum vorkamen. Bei Jane Kramer bekommen all jene ihr Fett weg, die lieber mit einem monumentalen Projekt die Opfer umarmen als sich an die Täter heranwagen wollen.

Für Tina Rosenberg schließlich ist die Annäherung an die Täter zentraler Ansatz ihrer Recherchemethode. Um das Funktionieren von Diktaturen zu begreifen, so stellte sie während ihrer Arbeit in Lateinamerika für ihr Buch „The Children of Cain“ fest, reichen die Geschichten der Opfer nicht aus: „Die Täter will ich verstehen.“ A.B./J.K.