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■ Kommentare Vergessene Opfer verdienen eine EntschädigungVichy hat geraubt

Am 15. Juli 1995 hielt Präsident Chirac eine historische Rede. Darin verurteilte er nicht nur das Regime von Vichy, sondern gab erstmals zu, daß Vichy auch Frankreich war: „An jenem Tag (dem 17. Juli 1942, als bei einer Razzia Tausende Pariser Juden ins Vélodrome d'Hiver verschleppt wurden; d. Red.) tat Frankreich das Nichtwiedergutzumachende.“ Am Vorabend der Rede habe ich in einem Interview mit der Zeitung Libération die Diskussion über das Problem der jüdischen Güter in Gang gebracht, die geraubt und nie zurückgegeben worden sind.

Ich habe das getan, damit Frankreich erfährt, daß das Vichy- Regime nicht nur die Juden diskriminiert, sie in den meisten Fällen verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert hat, sondern daß Vichy, der Komplize der Nazis, sich auch an ihnen bereichert hat. Ich wollte außerdem, daß bekannt würde, daß ein Teil dieser Güter nie an die Eigentümer zurückgegeben wurde, weil jüdische Familien komplett ausgelöscht wurden. Die erbenlosen Güter blieben in den Händen des Staates oder anderer Räuber, seien es öffentliche Institutionen oder Privatpersonen.

Die Enthüllung sollte auch dazu beitragen, daß eine völlig vergessene Gruppe von Opfern entschädigt wird: die französischen Kinder von ausländischen Eltern, die in Folge der Deportation von Vater oder Mutter oder beider Elternteile Waisen wurden. Frankreich hat sie nicht entschädigt, weil ihre Eltern Ausländer waren. Deutschland hat sie nicht entschädigt, weil sie Franzosen sind und weil Deutschland im Jahr 1960 eine Summe von 400 Millionen Mark für die „Opfer des Nazismus“ gezahlt hat. Nach Vorstellung der Deutschen handelte es sich um Entschädigungen für französische Juden. Aber für Frankreich ging es um alle Opfer des Nazismus – einschließlich der deportierten Résistants. Diese Waisen, von denen sich viele nie von dem Schlag erholt haben und die heute alt und in den meistens Fällen arm sind, verdienen eine Entschädigung. Dafür setze ich mich ein. Serge Klarsfeld

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