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KZ für „Störer“

■ Ausstellung: Naturfreundejugend erinnert an verfolgte Jugendliche im Jugend-KZ Moringen

Für 56 Jugendliche war das „Jugendschutzlager“ Moringen 1945 die Endstation. Hinter dem Euphemismus vom Schutzlager verbargen die Nazis die eigentliche Bedeutung: Das Jugend-KZ Moringen, in dem Jugendliche getötet wurden oder sich selbst umbrachten. Fünf Jahre lang diente das „Werkhaus“ zur „polizeilich vorbeugenden Bekämpfung der Jugendkriminalität“, wie es im damaligen Jargon hieß. Rund 1.200 Teenager schufteten in der Metallindustrie bei der Firma Piller, in der Landwirtschaft oder im Schacht für die Heeresmunitionsanstalt bei Uslar. Fein säuberlich eingeteilt in „Störer“, „Dauerversager“, „Gelegenheitsversager“ oder gar „Erziehungsfähige“. Ein Zehntel der jungen Leute waren politische Häftlinge, darunter auch die Hamburger „Swing Boys“. Sie lehnten die Hitler-Jugend ab, liebten Jazz und Swing. „Swing war leicht, witzig, in seinen Texten oft ironisch und in manchen Dingen auch leicht erotisch. Das hat uns gefallen, das bedeutetete Lebensfreude“, erinnerte sich einer der damaligen Swinger, der Bremer Herbert Simon, in einem taz-Interview. Es war Lebensfreude, die für viele tödlich endete, zumindest Mißhandlung und Demütigung bedeutete. Illustriert wird diese Zeit noch bis Freitag in einer Ausstellung der Naturfreundejugend in der Buchtstraße.

„Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“ ist eine Ausstellung der Moringer Gedenkstätteninitiative und der Hans-Böckler-Stiftung. Normalerweise ist die Dokumentation aus Berichten ehemaliger Häftlinge in der Gedenkstätte im südniedersächsischen Moringen zu sehen. Die Idee zur Dokumentation kam bei den Jugendlichen in der Buchtstraße mit der Diskussion über den Torfsturm-Film auf, der vergangenes Jahr in Walle gezeigt wurde. Jugendrefernt Carsten Beyer: „Wir hatten überlegt, ob wir den Film auch zeigen sollten.“ In der Diskussion darum, entschieden sich die Kids dann für die Ausstellung, die 1994 bereits in der Unteren Rathaushalle gezeigt wurde. „Ich fand das ziemlich interessant, weil ich sie noch nicht gesehen hatte“, sagt Tanja Wegner. Der 17jährigen Schülerin ist es vor allem wichtig, daß „dieses Verschweigen nicht stattfinden darf“.

Wie man sich auf solch eine Ausstellung vorbereitet? „Ich habe durch Filme versucht, mich in die Situation der Kinder reinzuversetzen. Das hat aber nicht geklappt.“ Es seien einfach andere Lebensumstände gewesen, „ein ganz anderes Leben“. So blieb noch der Ausstellungs-Katalog, der „dafür gemacht ist, daß man sich zuhause damit beschäftigt“ und die Erinnerung. Gedanken an Besuche in ähnlichen Ausstellungen zum Beispiel.

Für die Ausstellung selbst erarbeitete die zehn bis fünfzehnköpfige Gruppe ein Rahmenprogramm mit Vorträgen – zum Beispiel über die Jugend im Nationalsozialismus – und einem Film über die Swing Kids. Grundsätzlich, so Carsten Beyer, bildet die Bedeutung des Widerstands von Jugendlichen den Rahmen der Ausstellung. Angesichts des Themas gerieten auch scheinbar profane Dinge zum Diskussionsstoff: Ist Kuchen zur Ausstellungseröffnung passend? Ist er nicht, befand die Mehrheit. lmi

Die Ausstellung wird noch bis Freitag, 28. Februar, bei der Naturfreundejugend, Buchtstraße 14, täglich von 10 bis 18 Uhr gezeigt.

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