: Umweltbewegt oder im eigenen Rhythmus
Ein ausgeglichenes Leben und die Mitarbeit an spannenden politischen Projekten scheinen sich auszuschließen. Wer sich nicht mit Leib und Seele in die Organisation reinhängen will, hat fast keine Chance. ■ Von Angela Oels
Vergiß es. Das haben wir alles schon mal versucht, das funktioniert so nicht.“ So haben die Mitglieder einer Arbeitsgruppe der Berliner Grünen Anfang der 90er auf ein paar Aktionsvorschläge von uns – damals SchülerInnen – reagiert. Ich erzähle im Zug einer Freundin von diesem Erlebnis, male die Langeweile und Resignation der Alt-68er bei den Grünen in den buntesten Farben aus, bis die Frau schräg gegenüber im Großraumabteil aufsteht und sich als Bezirksgruppenmitglied der Berliner Grünen zu erkennen gibt. Sie zeigt sich betroffen, aber gleichzeitig begeistert, daß es anscheinend doch Jugendliche gibt, die sich für ihre Partei interessieren. Und lädt uns gleich zu ihrer nächsten Bezirksgruppensitzung ein – wir sollten denen doch mal was erzählen aus Sicht der Jugend.
Das hatten wir doch alles schon mal
Diese Anekdote spiegelt vieles wider, was ich in meinen fünf Jahren in der deutschen Umweltbewegung erlebt habe. Platt zugespitzt: Die Alten wollen ihr Baby – ihren Verband oder ihre Partei – nicht untergehen sehen und versuchen daher, den Nachwuchs für ihre Zwecke zu rekrutieren. Gleichzeitig wollen sie aber nicht noch mal von vorne anfangen, wollen nicht die gleichen Fehler noch mal machen müssen.
Kein Wunder also, daß Jugendliche sich lieber ihre eigenen Strukturen zum Aktivwerden schaffen – in unabhängigen Projektwerkstätten und deren Netzwerken und in Jugendorganisationen von Parteien und Verbänden.
Wir brauchen Freiräume für Experimente
In England, wo ich zur Zeit studiere, gibt es so gut wie keine separaten Jugendorganisationen innerhalb der Umweltbewegung. Grund dafür ist, daß die Bewegung eh so klein und wenig etabliert ist, daß Jugendliche überall genug Möglichkeiten haben, sich mit ihren ganzen Ideen einzubringen. Es gibt wichtige Gruppen, die von Menschen unter 30 dominiert werden, wie die im Widerstand gegen neue Umgehungsstraßen erfolgreiche Gruppe Earth First!
In Deutschland ist die Umweltbewegung alt geworden. Überall hocken erfahrene Hasen auf ihren Posten und verteidigen den Status quo. Die große Ausnahme ist der gewaltfreie Widerstand gegen die Castor-Transporte nach Gorleben, bei denen junge Menschen eine tragende Rolle spielen. Es macht wütend, aus der Ferne zusehen zu müssen, wie meine FreundInnen dort als militante Linksextremisten kriminalisiert werden.
Jugendorganisationen bieten Freiräume, sich selbst zu entdecken, Verantwortung für eine Organisation zu übernehmen. Dort lernt man papierfressende Kopierer, Faxapparate und Drucker zu zerlegen, den Anrufbeantworter zum Schweigen zu bringen und Computer zu bedienen. Jedes mal wieder fehlen Leute, die es offensichtlich besser können, und so werden nach und nach alle ins kalte Wasser geworfen, machen vieles zum ersten Mal, was sie sonst lieber den Erfahrenen überlassen hätten.
So wachsen die Jungen schnell über sich selbst hinaus, organisieren Projekte in Größenordnungen, die die Alten in Schreck und Ehrfurcht versetzen. Schreck, weil diese Projekte nach allen rationalen Kalkulationen zum Scheitern verurteilt sind, Ehrfurcht, weil sie allen Haderern zum Trotz dennoch klappen – wenngleich krisengeschüttelt: ein Vorhang aus 50.000 Dosen vor dem Brandenburger Tor 1992 oder 7.000 Jugendliche auf einer Sternradtour durch ganz Deutschland zum Jugendumweltfestival „AufTakt“.
Wir sollen die Rolle der Mahner spielen
Und dann haben Jugendlich natürlich einen Bonus. Jugendliche müssen sich nicht an den Kompetenzstandards der Alten messen lassen. Sie sehen, wofür die Alten längst blind sind und können die richtigen Fragen stellen.
Eine extrem positive Erfahrung war es für mich, eine Rede bei der UNO in Genf im Vorfeld des Klimagipfels 1995 halten zu können und die breite Resonanz in deutschen Tageszeitungen zu erleben.
Andererseits wird es Jugendlichen auch schwergemacht, aus diesem Jugendbonus-Image auszusteigen und als gleichberechtigte Diskussionspartner ernst genommen zu werden. Insbesondere die Medien erzeugen ein sehr eindimensionales Bild der Jugend. Ich wurde 1995 als einzige Frau und Jugendliche zu einer Fernsehtalkshow mit Profis eingeladen, um – wie mir auch vorher gesagt wurde – den „Ihr ruiniert unsere Zukunft“- Gesang anzustimmen. In 45 Minuten Talkshow gab es keine Zeit, mich als Mensch wahrzunehmen. Mehr als freche Rhetorik und radikale Parolen war nicht gefordert. Mich hat diese Erfahrung verletzt und mir die Lust genommen, als Vorzeige-Jugendliche aufzutreten.
Die Jungen streiten: professionell vs. dezentral
Bei der Jugend gibt es die gleichen Flügelkämpfe wie bei den Alten. Ein Teil der Engagierten will einen in den Medien hochprofilierten, also sich von anderen Organisationen abhebenden, professionell agierenden Verband erschaffen.
Die anderen wollen die Bundesebene entschlacken, mehr Ressourcen nach unten verteilen und damit den lokal Aktiven einen Freiraum bieten, in dem sie Experimente für eine andere Gesellschaft machen können. Erstgenannte haben den Erhalt und das Florieren des Verbandes zum Ziel, letztere das Florieren der Jugendumweltbewegung – in welcher Struktur auch immer. Wenigstens einmal im Jahr gelingt es den Jungen von BUND, Naturschutzbund und Projekten aber, einen gemeinsamen Jungendumweltkongreß auf die Beine zu stellen. Streiten, vernetzen, feten und Gräben zuschütten bis ins nächste Jahr.
Die Strategien der beiden Flügel sind innerhalb eines Verbandes schwer zu vereinbaren. Dafür fehlt das Geld. Die Alten etwa beim BUND oder den Grünen gestehen der Jugend von ihrem Etat einen unproportional geringen Betrag zu. Während der Bundesvorstand des BUND zum Beispiel im Hotel übernachtet, schläft der Bundesvorstand der BUNDjugend in der Geschäftsstelle auf der Isomatte unterm Schreibtisch.
Und auch die Zuschüsse an die Jugend von Landes- und Bundesministerien sind drastisch gekürzt worden. Am meisten betroffen sind davon die unabhängigen Netzwerke, wie zum Beispiel der Zusammenschluß der Schul-Umwelt-Arbeitsgemeinschaften (S.A.U.), Anlaufpunkte für diejenigen, die mit Verbänden und Ideologie nichts am Hut haben.
Diese Netzwerke erhalten wegen ihrer fehlenden Satzung und Hierarchie keine Staatsgelder und sind daher auf Zuschüsse der Jugendverbände angewiesen. In Zeiten knapper Kassen werden solche verbandsexternen Haushaltsposten gern als erstes gekürzt.
Nicht länger inhaltlich auf dünnem Eis wandeln
Das alles wäre aber für mich kein Grund gewesen, das Handtuch zu schmeißen. Ich hab 1995 aus anderen Gründen mit dem Politikmachen aufgehört. Ein Grund war, daß für solide inhaltliche Arbeit kein Raum zu sein schien. Im Mittelpunkt stand das Machen, nicht das Denken. Ich hatte das Gefühl, auf dünnem Eis zu wandern, und fühlte mich damit immer unwohler. Zum zweiten wollte ich wenigstens die zweite Hälfte meines Studiums ordentlich studieren. Ich habe es als extremen Spagat empfunden, zwei Full-time-Jobs – mein Studium und die politische Arbeit – unter einen Hut zu kriegen und beide gut zu machen. Und nicht zuletzt sind in meinem Workalholictum viele andere Bereiche meines Lebens hinten runtergefallen, die ich nun neu für mich entdeckt habe (zum Beispiel Sport). Die Doktorarbeit über Lokalisierung und Globalisierung, an der ich hier in England zur Zeit arbeite, bietet mir für inhaltliche Arbeit und ordentliches Studieren einen idealen Rahmen, der auch genug Freiraum läßt.
Gewagt & ausgebrannt – öde & menschlich?
Wenn ich über einen Wiedereinstieg nachdenke, schreckt mich am meisten der Alles-oder-nix-Deal. Entweder ich hänge mich mit Leib und Seele rein, oder ich lasse es.
Ich muß an die Zeit denken, als ich nachts um zwei Faxe nach Hause geschickt bekam, morgens mit dem Laptop im Rucksack zu einer Sitzung nach Bonn, Göttingen oder Dresden aufbrach und bei der Rückkehr im Schnitt 15 Nachrichten auf dem Anrufbeantworter vorfand. Und ich habe genug FreundInnen aus jener Zeit, die noch heute so leben. Es fühlte sich an, als wäre ich kurzgeschlossen mit dem Takt der Bewegung und außerstande, meinen eigenen Rhythmus zu leben. Ich empfand es als unmöglich, weniger zu machen. Wenn ich weniger mache, kriege ich weniger mit und kann mich weniger nützlich einbringen. Das geht so weit, daß mir die Arbeit dann keinen Spaß mehr macht. Ist mein Projekt uninspirierend und bescheiden, fehlt mit der Spannungsbogen, der mich wie ein Magnet von der Idee zur Vollendung des Projektes zieht.
Ich habe noch keinen Zwischenweg gefunden, außer phasenweise ein- und auszusteigen oder mein Engagement auf die lokale Ebene zu beschränken. Wie kann ich ein ausgeglichenes Leben leben und gleichzeitig in spannenden nationalen oder internationalen Projekten und Organisationen mitarbeiten? Und ich fürchte, daß es darauf keine einfache Antwort gibt.
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