piwik no script img

Ganzheitliche Betreuung auf dem letzten Weg

■ Grundsteinlegung für das erste Sterbehospiz. Unheilbar Kranke werden in ihrer letzten Lebensphase begleitet. Ärztekammer hat Schirmherrschaft übernommen

Wer ins Krankenhaus geht, will geheilt werden, um es dann möglichst schnell wieder zu verlassen. Für unheilbar Kranke ist in der Regel kein Platz zum Sterben vorgesehen. Das soll jetzt anders werden. In der Neuköllner Dellbrückstraße entsteht das erste Sterbehospiz der Stadt. „Berlin benötigt in jedem Stadtteil ein Hospiz“, sagte Dr. Ellis Huber gestern bei der Grundsteinlegung. Der Ärztekammmerpräsident hat die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen. Im Frühjahr 1998 soll der Betrieb aufgenommen werden.

„Wir wollen versuchen, unheilbar Kranken eine angemessene, ganzheitliche Betreuung zu geben“, sagt Dorothea Becker, Geschäftsführerin von RICAM, der gemeinnützigen Trägergesellschaft des Hospizes. Den Patienten, vor allem unheilbar an Krebs Erkrankten, soll in ihren letzten Wochen durch professionelle Pflege eine möglichst hohe Lebensqualität ermöglicht werden. Das schließe sowohl spezielle Therapien als auch seelische Betreuung ein. Für die Besuche von Angehörigen sind eigene Zimmer geplant. Das Hospiz wird als „Haus auf dem Haus“ auf dem Dach eines fünfstöckigen Gebäudes thronen und von einer großen Dachterrasse umgeben sein. Für fünfzehn Patienten werden helle und freundliche Zimmer entstehen.

Nachdem der Senat sich bisher immer geweigert hatte, die Krankenkassen anzuweisen, die Versorgung der Sterbenden zu finanzieren, hat nun ein Umdenken eingesetzt. Zwar ist noch unklar, ob die Gelder von den Krankenkassen oder aus einer Mischfinanzierung von Kranken- und Pflegekassen kommen sollen, daß Mittel fließen werden, ist jedoch sicher.

Einziger Wermutstropfen ist jedoch die Mangelfinanzierung des Projekts. Denn egal woher das Geld kommt, es wird nur die Grundversorgung abdecken. Alles was darüber hinausgehe, wie letzte Wünsche, oder die Betreuung von Angehörigen müsse über Spenden finanziert werden. Und auch eine Vorlauffinanzierung gibt es nicht. Die Vorbereitung des Hospizbetriebs komme zu ihrer regulären Krankenschwesterntätigkeit dazu, so Dorothea Becker, die RICAM- Geschäftsführerin. „Wir machen eigentlich zwei Jobs, der eine ist bezahlt, der andere nicht.“

Für die Ärztekammer soll das Hospiz Modellcharakter haben und nicht das einzige bleiben. Bisher wurden Sterbenskranke in Krankenhäusern soweit gesundheitlich stabilisiert, daß sie die Einrichtung verlassen konnten und nach Hause geschickt wurden, so Dr. Cora Jacobi von der Ärztekammer. Das sei eine schwere Belastung sowohl für die Sterbenden als auch für die Angehörigen. Zwar hätten einige Krankenhäuser sogenannte Palliativstationen eingerichtet, die Aufenthaltsdauer auf diesen „Linderungs“-Stationen sei jedoch zeitlich immer begrenzt. „Todkranke rechnen sich für Krankenhäuser einfach nicht“, stellt Cora Jacobi fest. Der apparative Aufwand sei zu gering. Deshalb sei auch das Naheliegendste, in jedem Krankenhaus einige Betten für Sterbende in einem eigenen Trakt bereitzuhalten, bisher nicht verwirklicht worden.

Das RICAM-Hospiz ist allerdings nicht die einzige Einrichtung, die sich der Betreuung Todkranker verschrieben hat. Christian Thomas, von Zuhause im Kiez (ZiK) betreut die Planung eines „Wohnprojekts für Menschen mit Aids in der letzten Lebensphase“. Die Bezeichnung Hospiz findet er nicht glücklich. ZiK gehe es vor allem um das Leben vor dem Tod. „Hospiz ist uns zu transzendental.“

Doch jenseits der verschiedenen Etiketten unterscheiden sich die Kreuzberger auch in der Finanzierungsform vom RICAM-Hospiz. Das Gebäude gilt als Wohnprojekt, deshalb wird der Bau über den sozialen Wohnungsbau finanziert. Weil so eine Häuslichkeit der Betreuung gegeben ist, wird sie als ambulante Pflege gelten und von einer Pflegestation übernommen werden. Abgesehen von einem Café und „bettbefahrbaren“ Wohnungen wird es ein ganz normales Haus sein, in dem „16 Leute mit dem gleichen Problem wohnen“, wie Christian Thomas es zugespitzt ausdrückt. Die Bagger stehen am Grundstück in der Reichenberger Straße schon bereit, bald soll auch hier Grundstein gelegt werden. Tobias Rapp

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen