„Wo ist der Schuldirektor?“

Nachdem zwanzig kurdische Jugendliche die Neuköllner Thomas-Morus-Schule angriffen, bewachen jetzt Zivilpolizisten die multikulturelle Hauptschule  ■ Von Barbara Bollwahn

„Scheiße, diese Hurensöhne“, schimpft ein türkischer Schüler. Gemeint sind etwa zehn Zivilpolizisten, die gegenüber der Thomas- Morus-Schule in Neukölln die Rücksäcke von sieben türkischen und arabischen Schülern durchsuchen und ihre Personalien aufnehmen. „Wo ist der Schuldirektor jetzt?“ fragt er und blickt aufgebracht zu den Jugendlichen, die mit gespreizten Beinen an der Hauswand stehen. „Warum redet der Direktor nicht mit ihnen, statt die Polizei zu rufen und sie zu provozieren? Was wird morgen dann hier los sein?“ fragt er.

Dabei ist Schuldirektor Volker Steffens gar nicht weit. Er steht nur wenige Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Mariendorfer Wegs und beobachtet, wie die Polizisten Fotos machen. Um ihn herum stehen einige türkische und arabische Schüler seiner Schule, an der 21 verschiedene Nationalitäten lernen – ohne große Probleme. „Warum reden Sie nicht mit denen?“ wird er wieder gefragt, während die dritte Polizeiwanne anrückt. „Wir müssen vorsichtig sein“, läßt Steffens die Frage unbeantwortet.

Vorsichtig ist er geworden, seit am Dienstag zwanzig schulfremde kurdische Jugendliche den Schulhof der Thomas-Morus-Schule zu stürmen versuchten. Deshalb läßt der Direktor die Polizei nun die harmlos wirkenden Jugendlichen auf der anderen Straßenseite überprüfen. Doch keiner von ihnen ist auf seiner Schule und sie sind nur gekommen, um sich an- oder umzumelden. Anlaß für den mit Messern, Schlagwerkzeugen, einem Beil und einer Kette geführten Angriff war ein Streit zwischen zwei türkischen Mädchen. „Eine alltägliche Eifersuchtsgeschichte“, so Steffens. Doch da „das Objekt des Anhimmelns“ ein kurdischer Schüler war, sei das ungeschriebene Gesetz zur Anwendung gekommen, daß ein türkisches Mädchen nicht mit einem kurdischen Jungen geht. Als ein anderer kurdischer Schüler versuchte, den Streit zu schlichten, mischten sich türkische Schüler ein, Wörter wie „Hurensohn“ fielen, der kurdische Schüler wurde auf den Boden geworfen und trug eine Platzwunde davon. Nachdem er verarztet worden war, verschwand er – um Verstärkung von außerhalb zu holen. Die kam dann bewaffnet und konnte gerade noch durch die schnelle Schließung des Schultores ausgesperrt werden.

Bilanz der bis auf die Platzwunde unblutigen Auseinandersetzung: 14 Personen wurden vorläufig festgenommen, sechs Schüler bis auf weiteres vom Unterricht ausgeschlossen. Die Schule erstattete Anzeige gegen die Angreifer, denen schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wird.

Um ein erneutes Aufflammen der Gewalt zu verhindern, hält sich bis auf weiteres ein halbes Dutzend Zivilpolizisten in der Schule auf. Am meisten leiden die 360 Schüler jedoch darunter, daß sie bis zu den Osterferien ihre große Pause in der Cafeteria verbringen müssen. Viele Schüler der Multikultischule, in der Karten „unserer Heimatländer“ hängen – Albanien, Deutschland, Polen, Kroatien, Bosnien, Griechenland, Türkei, Syrien, Libanon, Rußland, Thailand – haben Angst vor einem Racheakt. „Es gibt eine Türken- und eine Kurdenfront“, sagt ein türkischer Schüler, der angibt, Mitglied der „Grauen Wölfe“ zu sein.

Während die Schüler erwarten, daß die Schulleitung mit ihnen statt mit der Polizei spricht, vertraut der Direktor auf „seine“ kurdischen Schüler: Mehr als die Hälfte von ihnen sei im Jugendasylverfahren und somit nicht an einer Eskalation interessiert. Für die jungen Männer, die am Dienstag kamen, könne er aber nicht garantieren.