Mustafa Ünalan verweigert

■ Gesichter der Großstadt: Als erster türkischer Staatsangehöriger versucht Mustafa Ünalan in Berlin mit seiner Verweigerung wegweisend für andere Militärdienstgegner zu sein

Einzugsbescheid ade. Mit einem Feuerzeug zündet Mustafa Ünalan im Januar vor der Presse einen Brief aus der Türkei an. Plakativ, aber wohl überlegt. Mustafa Ünalan hat verweigert. Die öffentliche Verbrennung des Einzugsbescheids zum Militärdienst gehört zum Plan – und der war schon lange entwickelt, bevor der heute 29jährige vor sieben Jahren nach Berlin kam.

Der Vater einer 15 Monate alten Tochter, gehört zu einer Gruppe türkischer Kriegsdienstverweigerer und arbeitet in Berlin bei der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Ihr Ziel: das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei erkämpfen.

Schon in der Schule nervte den Studenten die Uniformität in der Türkei: „Wir mußten immer die gleiche graue Hose, blaues Jacket, weißes Hemd und Schlips tragen. Jeden Morgen standen wir stramm und sangen die Nationalhymne.“ Mit seinen Freunden ließ er sich die Haare lang wachsen – die Lehrer schnitten sie ihnen wieder ab. „Aber damals war ich noch gar nicht politisch.“ Inspiriert hatten ihn aber doch seine Lehrer und das Istambuler Viertel, in dem er bei seinen Großeltern lebte. „Denn da waren alle links.“

Seine Eltern leben seit 30 Jahren in Berlin. Und hier ging er in den Kindergarten: „Die Stadt bedeutete für mich Freiheit und Vielfalt.“ Der Berliner Zeit folgte die Schulausbildung, wieder in der Türkei. Mustafa lebte er bei seinen Großeltern in Istanbul, kam aber jedes Jahr in den Sommerferien nach Berlin. Als er dann 1989 ganz nach Berlin zog, war er erst einmal schockiert: „Ich dachte, alle die lange Haare haben oder Punks sind, sind Anarchisten und Linke.“

In Istanbul, sagt er, war das ganz anders. An der Univerität war er in einer anarchistischen Studentengruppe: „Lange Haare waren Programm wie die schwarze Kleidung und Kropotkin.“ Sie fielen auf, wurden von der Polizei durchsucht und als „Schwule“ – ein Schimpfwort in der Türkei – bezeichnet. Heute ist Mustafa kurzhaarig.

„Das Studium war zwar sehr frei, wir haben gemacht, was wir wollten.“ Aber das tat er auch schon vorher: Seit seine Großeltern gestorben waren, lebte er allein. Mit 19 Jahren zog seine Freundin Sera zu ihm. „Wir trugen Ringe und sagten den anderen, wir seien verlobt.“ Geheiratet haben die beiden erst 1989, damit sie zusammen nach Deutschland kommen konnten.

Ihre Tochter ist in Berlin geboren. Mustafa bedient sich nicht wie viele andere der Tricks, um dem Militärdienst zu entgehen. Er ging zwar nach Berlin, aber eine deutsche Frau heiratete er nicht.

Ernst wurde es, als immer mehr seiner Freunde zum Militär mußten und in den kurdischen Gebieten eingesetzt wurden: „Sie kamen wieder und erzählten von abgeschnittenen Ohren. Sie zeigten mir Rosenkränze, die Soldaten aus Brustwarzen kurdischer Frauen gemacht hatten.“ Er habe viele kurdische und armenische Freunde, er wollte sie nicht quälen und umbringen.

Außerdem merkte er, daß sich seine Freunde durch den Militärdienst veränderten: „Plötzlich redeten sie vom bewaffneten Kampf und sagten, wir würden da alles Notwendige lernen und sollten darum zum Militär gehen. Irgendwann fingen sogar die Linken an, sich gegenseitig umzubringen.“ Antimilitarismus wurde das Thema der anarchistischen Gruppe. Sie gründeten die erste türkische Organisation für Kriegsdienstverweigerung. Denn Zivildienst ist in der Türkei nicht möglich.

Mustafa ging nach Berlin, vertrat die Gruppe hier und arbeitet seit vier Jahren in der Kampagne gegen Wehrpflicht mit.

Letztes Jahr wurde der erste der türkischen Gruppe, Osman Murat Ülke, wegen Kriegsdienstverweigerung in der Türkei verhaftet. Die Gruppe hatte sich gut vorbereitet: „Wir haben ein Antigewalttraining in Izmir gemacht und lange geredet, wie wir mit unseren Verhaftungen umgehen.“ Öffentlichkeit ist ihr einziger Schutz.

Seit November ist Mustafas Paß abgelaufen. Er wartet auf seine Abschiebung und Verhaftung. Dann wird er einen Asylantrag in Deutschland stellen: „Ich will als erster türkischer Staatsangehöriger mit türkischer Abstammung versuchen, einen Weg für die anderen Kriegsdienstverweigerer zu öffnen.“ Offensichtlich ist sich auch das türkische Konsulat der Brisanz bewußt. Unaufgefordert verlängerten sie seinen Paß für sechs Monate. Eine kurze Pause für Mustafa. Nathalie Daiber