: Gewaltig gewaltfrei gegen Polizeigewalt
Zum Auftakt der Aktionen gegen die Castor-Transporte im Wendland demonstrierten um die 20.000 in Lüneburg. Die Vorbereitungen für die Sitzblockaden laufen auf Hochtouren ■ Aus Lüneburg Jürgen Voges
Noch einmal hallt Jubel – Johlen, Klatschen, Pfeifen – an diesem Samstag nachmittag durch die Lüneburger Innenstadt. Sie machen sich selbst Mut, die weit über 15.000, die sich am Ende der Demo noch rund um das Reiterstandbild im Lüneburger Clamart-Park drängen. „Es waren viel mehr Leute, als wir gehofft hatten. Es war ein tolles Wetter. Wir können nur hoffen, daß dies in den nächsten Tagen so bleibt.“ Diese Worte gibt „ABC“, das Lüneburger Aktions-Bündnis Castor, mit auf den Weg. Und der führt die etwa 10.000 Castor-Gegner gleich im Konvoi aus Bussen, Pkws und 100 Traktoren ins Wendland, in Richtung Dannenberg und Gorleben.
Unterwegs scheren Busse, Caravans und Autos mit den jungen Leuten nach links und rechts zu den zwölf Camps aus, die in den nächsten Tagen die Basislager für die Sitzblockaden bilden sollen. Auf vier- bis fünftausend schätzt am Sonntag morgen die Polizeipressestelle die Zahl der Castor- GegnerInnen in den Zeltlagern und Wagenburgen.
Niemand zählt genau. Im größten Camp, der kleinen Zeltstadt der Aktion „X-tausendmal quer“ bei Splietau in Sichtweite der Dannenberger Castor-Verladestation, hat am ehesten noch die Küche einen Überblick. „Suppe für 1.300 Leute haben wir gekocht, und die ist bis auf einen kleinen Rest weg“, heißt es bei „Rampenplan“, einer mobilen niederländischen Demo- und Aktionsküche, die seit Jahren immer wieder die AKW-Gegner im Wendland versorgt.
Mit einem Sternmarsch aus vier Demonstrationszügen hatte der Auftakt gegen den Castor-Transport in Lüneburg begonnen. Selbst die Pressestelle der Polizeieinsatzleitung sprach von „bis zu 15.000 Teilnehmern“. Als der Kundgebungsplatz sich richtig gefüllt hatte, taxierte das Lüneburger Aktionsbündnis die Zahl der TeilnehmerInnen auf über 20.000.
Von ihren Kindern und von den Schülern, den Jugendlichen in Wendland und von den Erfahrungen, die diese jetzt mit dem Staat machen, hat im Clamart-Park für die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg Birgit Huneke gesprochen. Auch davon, daß Eltern und Lehrer diese zur Gewaltfreiheit erziehen und daß der Staat ihre Turnhallen beschlagnahmt und gestern in Hitzacker auch geräumt hat. Die BI-Vorsitzende rief dazu auf, der Polizeigewalt „gewaltfrei, aber gewaltig, entschlossen, aber phantasievoll“ zu begegnen.
Für die Aktion „X-tausendmal quer“ stellte Jochen Stay die Frage: „Gibt es einen Grenzwert, eine Zahl von Menschen auf der Strecke, ab der die Staatsmacht den Transport mit legalen Mittel nicht mehr durchsetzen kann?“ Gegen beharrlich auf der Straße Sitzende dürfe der Staat schließlich nur begrenzt Gewaltmittel einsetzen. Das habe selbst der Gesamteinsatzleiter in einem Vorgespräch erklärt. Genügend gewaltfreie Blockierer stellen für Jochen Stay deswegen den niedersächsischen Innenminister Glogowski vor die Alternative, entweder den Transport abzusagen oder gesetzwidrig Hochdruckwasserwerfer und Knüppel gegen friedliche Demonstranten einzusetzen. Denn die begingen mit ihren Blockaden nur eine Ordnungswidrigkeit.
Gut tausend Castor-Gegner machten sich nach der Kundgebung einen Spaß daraus, den Lüneburger Bahnhof symbolisch zu besetzen. Sie drängten sich mit vereinten Kräften durch eine Kette von BGS-Beamten an die Gleise. Sie behinderten ein wenig die Abfahrt jener Nahverkehrszüge, aus deren Fenstern später dann die eigenen Wendland-Fahnen ragten. Am Bahnhof sprach dann auch eine Beobachtergruppe aus Pastoren und Politikern, unter ihnen der Lüneburger SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Inselmann, davon, daß es irgendwo über 20.000 eine Zahl von Blockierern gebe, bei der die Einsatzleitung die Entscheidung über den weiteren Transport wieder an die Politik, also an Landesinnenminister Gerhard Glogowski, zurückgeben werde. Denn bei einer solchen Zahl sei das geplante Deeskalationskonzept nicht mehr durchsetzbar.
Dieses Konzept sieht ohnehin nur vor, daß alle Blockierer einmal von der Straße getragen werden. Wenn die Weggetragenen sich an anderer Stelle wieder auf die Straße setzen, will die Einsatzleitung Wasserwerfer zur Räumung einsetzen. Die Beobachtergruppe hatte kurz zuvor mit dem Einsatzleiter und auch dem zuständigen Abteilungsleiter im Innenministerium gesprochen. Demnach hat das Ministerium am Freitag noch einmal mehr Polizisten und Bundesgrenzschützer für den Einsatz angefordert. Fest gebucht sind für das Wendland rund 12.000 Polizeibeamte und 3.000 Grenzschützer. Bei Bedarf können weitere 7.000 Grenzschutzbeamte „nachgeführt“ werden, die zuvor Bahnstrecken im Bundesgebiet bewacht haben. Und zusätzlich können noch einmal 3.000 Polizisten aus Baden-Württemberg mobilisiert werden.
Einige wenige Polizisten sind allerdings aus anderen Gründen im Landkreis. Bernward Boden, Bundessprecher der „AG Kritische Polizisten“, will bis zum Tag des Straßentransports bleiben und mit dem einen Dutzend anderer kritischer Polizisten gegen den Transport protestieren.
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