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Abgrund von Doppelmoral

■ Die US-Drogenpolitik wird immer widersprüchlicher

Bill Clintons Zeugnisverteilung an die drogenproduzierenden und -vermarktenden Staaten ist diesmal besonders peinlich ausgefallen. Und zwar vor allem für den Oberlehrer selbst, der den steigenden Konsum harter Drogen in den USA nicht zu Hause, sondern allein in den Lieferantenländern bekämpfen will. Als der Drogenhandel den Kommunismus als Feindbild ablöste, hatte der Kongreß dem Präsidenten die Verpflichtung aufgedrückt, alle Länder, die mit Halluzinogenen zu tun haben, vor der Erteilung von Wirtschaftshilfe und Handelsprivilegien alljährlich auf ihre Loyalität bei der Drogenbekämpfung zu testen. Die Furcht vor der „Dezertifikation“ zwang Bolivien vor zwei Jahren zu radikalen Kokavernichtungskampagnen, die fast einen Volksaufstand auslösten. In Kolumbien kostete der Widerstand der Kokabauern im vergangenen September mehrere Menschenleben.

Gerade Kolumbien hat 1996 sicherlich mehr als andere Länder gegen den Drogenhandel getan. Trotzdem fiel das Land durch, weil die Drogenhändler nicht an die USA ausgeliefert werden. Mexiko, dessen Regierung bis zum Hals im Drogensumpf steckt, kam hingegen durch. Denn Mexiko, Partner im Freihandelsbündnis Nafta, kann nicht ohne Schaden für die US-Wirtschaft bestraft werden. Und zudem liefert Mexiko Drogenbosse aus. Elfmal lebenslänglich für Garcia Abrego in den USA. So wird's gemacht.

Clintons Notenverteilung unterscheidet deutlich zwischen Freund und Feind: Syrien und Iran sind seit Jahren auf der schwarzen Liste; beim Nato- Partner Türkei drückt man hingegen alle Augen zu. Die New York Times machte diese Heuchelei zum Thema eines Leitartikels. Und selbst eine Gruppe von Senatoren, angeführt vom Republikaner Lincoln Diaz-Balart, fordert die Revision des Zertifizierungsverfahrens, das „viele Organismen in befreundeten Ländern moralisch und wirtschaftlich verletzt“.

Auch Bill Clinton und die Scharfmacherin Madeleine Albright müßten wissen, daß Drogenanbau auf Dauer nicht mit Sanktionen, sondern nur mit verstärkter Wirtschaftshilfe für den Anbau von Alternativkulturen und der Öffnung der Märkte für deren Export auf Dauer wirksam bekämpft werden kann. Aber es fehlt am Mut, das Vernüftige zu tun. Ralf Leonhard

Bericht Seite 8

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