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So wenig Abfall wie möglich

Ökologischer Rückbau auf dem Gelände des Alten Schlachthofs an der Eldenaer Straße. Das Verfahren ist billiger als der herkömmliche Abriß  ■ Von Katrin Dreßler

„Die Rinderhalle, die Schweinehalle, die Schlachträume: Totengerichte für Tiere, schwingende Beile, du kommst mir nicht lebend raus. Friedliche Straßen grenzen an, Straßmannstraße, Liebigstraße, Proskauer, Gartenanlagen, in denen Leute spazieren.“ So beschreibt Alfred Döblin in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ das Treiben auf dem ehemaligen zentralen Berliner Vieh- und Schlachthof, der Ende des vergangenen Jahrhunderts erbaut wurde. Heute hört man dort kein Tier mehr brüllen, und kein Mensch rennt mehr lederbeschürzt zwischen den Schlachthallen umher. Von den riesigen Hallen sind nach dem Krieg nur wenige unversehrt übriggeblieben. Zu DDR-Zeiten wurden sie umgebaut und mit Neubauten unsensibel verbunden.

Seit 1994 ist der Alte Schlachthof eine einzige Baustelle. Bis zum Jahr 2010 sollen auf dem großen Gelände zwischen der Landsberger Allee, dem inneren S-Bahn- Ring und der Eldenaer Straße mehr als 2.000 Wohnungen entstehen. Noch wird hier alles andere als aufgebaut. Jetzt wird erst einmal rückgebaut. Rückgebaut? – Man stelle sich den Abbau eines Hauses vor, die Zerlegung in seine Bestandteile, bis nur noch die Außenmauern zurückbleiben. Eine Hülle ohne Innenleben, ohne Fenster, Türen und Fußböden. Rohrleitungen, sanitäre Anlagen und die Elektrik gibt es nicht mehr.

„Alles, was in den Gebäuden verbaut wurde, von Verblendziegeln, Fenstern, Türen bis zum kleinsten Kupferdraht, wird separiert, teilweise recycelt und einer Wiederverwendung zugeführt“, beschreibt Rolf Kellermann von der SES, Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße mbH, kurz und knapp die Methode des ökologischen Rückbaus.

Beim Rundgang um das Gebäude fallen drei große Schutthaufen auf – gebrochene Ziegel, Leitungsmaterial und Holzteile. Die Bauingenieurin Eva-Maria Schild von der Gesellschaft für Umwelt, Verkehr und Energie GmbH (uve) erklärt: „Diese drei Baustoffsorten wurden bei der Entkernung aus dem Gebäude entfernt. Übrig bleibt danach nur die nackte Hülle des Gebäudes, sozusagen der Rohbau mit seinen tragenden Elementen.“ Erst schwingt die Abrißbirne oder greift der Bagger.

Die uve managt im Auftrag der SES alle Arbeiten des Rückbaus der Gebäude und der Freimachung der Flächen. Sechs MitarbeiterInnen der Firma sind seit 1995 vor Ort. Die meisten Entkernungsarbeiten werden manuell verrichtet, gelegentlich wird ein Kleinbagger eingesetzt, um das Dämmaterial freizulegen. Dann erklärt Adolf Hause, Projektleiter bei uve, weiter: „Die Ziegel kommen in eine Brecheranlage und können, entsprechend zerkleinert, als Zusatz im Straßenbau verwendet werden. Leitungen aller Art werden nach Metallarten sortiert und als Metallschrott eingeschmolzen oder nach neuartigen Verfahren aufbereitet. Das Holz der herausgerissenen Türen und Fenster wird geshreddert und kommt dann in eine Kompostierungsanlage.“

Für die Unternehmen lohnt sich das allemal. Denn beim ökologischen Rückbau fällt sehr wenig Abfall an, und er ist dazu kostengünstiger als der herkömmliche Abriß. Auf dem Schlachthof ist vieles aus den alten Gebäuden herausgeholt worden, was noch verwendet werden kann. Sanitäre Gegenstände, Armaturen und elektrische Geräte beispielsweise sowie alte, erhaltenswerte Türen und Fenster sind inzwischen an Interessenten verkauft worden. Das hat einige Erlöse gebracht und die Kosten gesenkt. „Bloß 10 Prozent des anfallenden Materials“, faßt Adolf Hause zusammen, „müssen beim ökologischen Rückbau unter Beachtung abfallrechtlicher Bestimmungen einer ordnungsgemäßen Entsorgung, das heißt Deponien oder speziellen Verwertungsanlagen, zugeführt werden.“ Das heißt auch, daß jede Rückbaumaßnahme zuerst mit einer Entsorgung von gefährlichen Stoffen beginnen muß. Erst wenn Materialien wie Asbest, PCB-haltige Kondensatoren und andere Sonderabfälle aus den Gebäuden entfernt wurden, kann die Entkernung beginnen. Immer wieder kommt es bei den einzelnen Rückbaumaßnahmen zur Probennahme durch die Mitarbeiter von uve. So wird sichergestellt, daß nur sauberes Material recycelt wird.

Nicht nur herkömmliche Bauteile aus Holz, Metall und die Ziegel wurden geborgen. Zwischen den roten Backsteinbauten schlummert so manches schöne Stück.

Beim Spaziergang um die Baustelle fallen die Formsteine der Schlachthäuser sowie die interessanten Dachformen mit oftmals basilikaartig erhöhtem Mittelteil ins Auge. „Schmiedeanker, Granitstufen, Pflastersteine und verschiedenartige Formsteine“, erinnert sich Adolf Hause, „sind im vergangenen Jahr geborgen und sorgfältig erfaßt worden.“ Einige Bauteile haben schon Käufer gefunden. Vieles soll am Platz bleiben. Die Freiflächen und die Grünanlagen in dem neuen Stadtviertel sollen mit den aufgefundenen Schmuckelementen an den Schlachthof erinnern.

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