: Kinder an die Macht
■ Nach der gerichtlichen Niederlage ihres Schulboykotteurs Benjamin Kiesewetter will die Kinderrechtsgruppe Krätzä eine Senkung des Wahlalters durchsetzen
Nachdem ihm das Berliner Verwaltungsgericht keine Unterrichtsbefreiung zugestand, muß Benjamin Kiesewetter nun doch bis zur 12. Klasse warten, um das für ihn „sinnlose“ Fach Chemie loszuwerden. Erst dann kann er das Fach ganz offiziell abwählen. Aber auch wenn Kiesewetter seinen Prozeß verlor, die nächsten gerichtlichen Klagen von Mitgliedern des 1992 gegründeten Berliner Kinderrechtsvereins Krätzä sind schon geplant. Schließlich kämpfen die Kinderrechtler vom Prenzlauer Berg – zu denen rund ein Dutzend Schüler aus dem Ost- wie Westteil Berlins gehören – gegen jegliche Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen gegenüber den Erwachsenen. Und weil das nicht zuletzt eine ziemlich politische Sache ist, rühren sie auch kräftig die Trommel gegen eine Altersgrenze beim Wahlrecht.
Sie berufen sich dabei auf ihr politisches Grundrecht nach Artikel 20.2 des Grundgesetzes: „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus. Sie wird in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.“ Von einer Wahlrechtsänderung erhoffen sich die Kinderrechtler eine stärkere Mitwirkung junger Menschen an politischen Entscheidungen, damit ihre „jeweils gegenwärtigen und zukünftigen Interessen in unserer Gesellschaft eine größere Rolle spielen und ernst genommen werden“. Die verhinderten Jungwähler wollen die Parteien zum „Um- und Nachdenken zwingen“.
Im Sommer 1995 hatten die Kinderrechtler eine entsprechende Verfassungsbeschwerde eingereicht – zum Preis von 30.000 Mark, soviel kostete nämlich der damit beauftragte Rechtsanwalt aus München. Zwar kam das Geld damals über Spenden zusammen, nur der gerichtliche Erfolg blieb aus. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Klage gar nicht erst zur Verhandlung an.
Ob sich die obersten Richter in Deutschland vor der nächsten Bundestagswahl 1998 wieder mit dem Thema befassen müssen, hängt davon ab, ob die Kinderrechtler demnächst ein paar tausend Mark auftreiben können. Vor einigen Monaten hatten erneut vier junge Vereinsmitglieder ihre Eintragung ins Wahlverzeichnis zur Bundestagswahl 1998 gefordert (ohne Kiesewetter allerdings, denn der ist dann schon 18 Jahre und kann ohnehin wählen). Drei im Bezirk Charlottenburg und eine in Mitte. Während Mitte gar nicht erst reagierte, wurde der Antrag in Charlottenburg mit dem Hinweis auf die Altersbegrenzung von 18 Jahren abgelehnt. Um nun wieder ihren Münchener Rechtsanwalt mit einer Klage beauftragen zu können, braucht Krätzä diesmal 6.000 Mark. In der Vereinskasse befinden sich derzeit aber bloß 1.500 Mark. Nur etwa 500 Mark gaben davon die rund 70 Unterstützer der Wahlalter-Forderung, zu denen u.a. der Liedermacher Gerhard Schöne, PDS-Mann Gregor Gysi, Bürgerrechtler Jens Reich sowie der Hallenser Psychologe Hans-Joachim Maaz gehören.
Das Anliegen der selbstbewußten Kinderrechtler ist auch in Bonn nicht unbekannt. So wurden sie im vergangenen Jahr von der Vizepräsidentin der Bundestages, Antje Vollmer (Bündnisgrüne), zu einem Gespräch eingeladen. Außerdem gab es 1996 eine offene Internet-Konferenz zum Thema Wahlalter, an der auch der frühere Jugendsenator und jetzige Bundestagsabgeordnete Thomas Krüger (SPD) teilgenommen hatte.
Für die nächsten Berliner Kommunalwahlen wollen die Bündnisgrünen eine Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre durchsetzen. Ein entsprechender Antrag wird demnächst im Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Gunnar Leue
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