: Mit rauhen Methoden und üblen Argumenten
Die Dominikanische Republik schiebt 17.000 Haitianer ab. Sie sind unentbehrliche Plantagenarbeiter ■ Von Ralf Leonhard
Berlin (taz) – Kaum dreihundert Meter von der Flugpiste von Puerto Plata, wo täglich Hunderte europäische Touristen für einen Strandaufenthalt angeliefert werden, wurden Tausende haitianische Wanderarbeiter in den vergangenen Wochen aus ihren Siedlungen gezerrt und abgeschoben. Die Deportationen haben auf der Karibikinsel Hispaniola eine Massenpanik ausgelöst.
Während die dominikanischen Behörden die Abschiebung illegaler Ausländer rechtfertigten, war diese für Haitianer und auch für Dominikaner haitianischen Ursprungs nichts als eine rassistische Hetzkampagne gegen die schwarze Bevölkerung. Denn deportiert wurden nicht nur illegale Wanderarbeiter, sondern auch Haitianer, die seit Jahren im Lande lebten. Selbst Eingebürgerte, deren Papiere von höhnischen Militärs zerfetzt wurden, blieben nicht verschont. Zu Übergriffen kam es auch. Nach Angaben der Dominikanisch-Haitianischen Frauenbewegung (Mudha) wurden ein Mann, der sich der Abschiebung widersetzte, getötet und ein fünfzehnjähriges Mädchen mißbraucht. Die Massenabschiebung habe Familien zerrissen und selbst Säuglinge von ihren Müttern getrennt.
Eingebettet in eine Welle nationalistischer Aufwallungen verdrängte die Krise wochenlang die Budgetdebatte und die Unmutsäußerungen über Benzinpreiserhöhung, Währungsabwertung und Steuerreform aus den Schlagzeilen. Das sei auch deren Zweck gewesen, meinte Martino Meloni, der Vertreter der EU für die Karibik. In einem Zeitungsinterview erklärte er, er fühle sich an ähnliche Manöver von Präsident Joaquin Balaguer während der politischen Krise 1994 erinnert.
Daß es nicht um die Verteidigung der einheimischen Arbeitsplätze geht, ist offensichtlich. Ohne die billigen haitianischen Arbeitskräfte wäre die dominikanische Zuckerindustrie gar nicht lebensfähig. Der staatliche Zuckerrat, CEA, der die staatseigenen Plantagen verwaltet, hat nach eigenen Angaben für diese Ernte 6.797 Arbeiter eingestellt. Davon seien nur 318 dominikanische Staatsbürger.
Die Äußerungen des italienischen EU-Diplomaten provozierten in der lokalen Presse einen Chor der Empörung über die Einmischung des „Haitianerfreundes“. Von einem Übereinkommen über die vorläufige Suspendierung der Abschiebungen, das Präsident Leonel Fernandez mit seinem haitianischen Amtskollegen René Préval am 21. Februar beim „Caricom“-Gipfel auf der Karibikinsel Antigua traf, erfuhren die Dominikaner erst Tage später aus der haitianischen Presse. Unter dem Druck chauvinistischer Kreise hatte das Außenministerium diese Einigung anfangs bestritten.
Seit dem Amtsantritt des jungen Leonel Fernandez im vergangenen August hatten sich die seit jeher gespannten Beziehungen der Nachbarstaaten merklich verbessert. Fernandez versprach sogar, die Löhne und Lebensbedingungen der modernen Sklavenarbeiter zu verbessern, und kündigte im Dezember in einer Ansprache an, daß 16.000 zusätzliche Arbeiter für die Zuckerernte gebraucht würden. Das war vielleicht sein Fehler, denn in Haiti, wo 80 Prozent der Bevölkerung keine geregelte Beschäftigung hat, wurde die Rede als Einladung verstanden. Tausende kamen illegal über die Grenze, um sich auf den Zuckerplantagen anwerben zu lassen, und lieferten den chauvinistischen Kreisen der Dominikanischen Republik einen willkommen Vorwand, Alarm zu schlagen.
An der Grenze blüht der Schmuggel in beide Richtungen, dominikanische Schlepperbanden machen glänzende Geschäfte mit mittellosen Haitianern. Gleichzeitig werden immer wieder haitianische Fischer in dominikanischen Hoheitsgewässern erwischt, und ehemalige Schergen der Militärdiktatur, die auf der dominikanischen Seite Zuflucht gefunden haben, begehen Bluttaten. Rechte Politiker erinnerten an die haitianische Besetzung im vorigen Jahrhundert, und so mancher Priester warnte von der Kanzel, daß die Haitianer im Begriffe wären, die Grenze aufzuheben.
Die Regierung ließ sich von der Hysterie einschüchtern und ordnete Massendeportationen an, bei denen wenig gefackelt wurde. Vor allem im nördlichen Grenzbereich veranstalteten die Militärs eine regelrechte Hexenjagd. Der Direktor einer Zuckerplantage erklärte, er hätte nur mit Mühe verhindern können, daß seine Arbeiter abtransportiert wurden. Nach Angaben der Direktorin des Migrationsbüros, Taina Gautreaux, wurden insgesamt 17.000 Haitianer abgeschoben. Die meisten seien aber wieder zurückgekehrt.
Die Landflucht, die von der Agrarpolitik Präsident Balaguers in den siebziger Jahren provoziert wurde, und durch das Wachstum der Fertigungsindustrien rund um die Städte weiter angeheizt wird, hatte zur Folge, daß Plantagenbetreiber ihre Landarbeiter in Haiti suchen mußten. Selbst Hauspersonal wird heute zunehmend von HaitianerInnen gestellt. Die Dominikaner emigrieren zu Tausenden nach Puerto Rico und New York, wo sie auf besser bezahlte Jobs hoffen. Die Verhandlungen über den Grenzverkehr und die Behandlung der Wanderarbeiter sind jetzt unterbrochen. Der fällige Gegenbesuch von Leonel Fernandez in Port-au-Prince ist in Frage gestellt. Die Normalisierung zwischen den ungleichen Brüdern auf der Karibikinsel Hispaniola ist wieder einmal aufgeschoben.
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