: Der Umweltschutz hat ausgedient!
Zumindest für geschicktes, modernes Marketing. Der neue Trend: Kultur ist in und darf teuer sein. Ein Nachruf zur ITB-Präsentation der TUI in Sachen Umweltschutz als Vorabdruck ■ Von Norbert Nahs
„Können Touristen die Natur retten?“
Komische Frage, aber als Ankündigung zum rituellen ITB-Diskussionsforum der TUI sicherlich ebenso erfolgreich wie die anderen schönen Werbesprüche des größten Reisekonzerns:
„Glück ist käuflich“ oder „Wir bringen Sie ins Paradies“.
Seit 1990 bereichert Dr. Wolf Michael Iwand die ITB mit spektakulären Umweltdiskussionen, ambitionierten Programmen und Aktivitäten des Touristikmultis zum Schutz der Umwelt. (Die taz hat sich an dem Mann und dem Projekt TUI regelmäßig gerieben.) Jetzt hat er es selbst geschafft: Wolf Michael Iwand braucht ein neues Betätigungsfeld. Der Müllmann der TUI möchte nun TUI-Unesco- Kulturbotschafter werden.
Niemand durfte je an der Ernsthaftigkeit des TUI-Umweltengagements zweifeln. Auch in diesem Jahr verkündet TUI-Boss Karl Born in seiner Einladung klipp und klar, worum es geht: „Return on nature. Unser [TUI?; d.A.] Kapital: Natur, Landschaft, biologische Vielfalt.“ Die intakte Natur „ist für den Reiseveranstalter die unverhandelbare Ressource seines Erfolges“.
So steht es in der Einladung für den 9. März 1997. 14 Uhr, Saal 3 im ICC Berlin.
Diese TUI-Umweltdiskussion zur ITB wird wahrscheinlich die letzte sein. Denn auf diesem Termin wird die Idee des sanften Tourismus begraben. Michael Iwand kann seinem Arbeitgeber Vollzug melden. TUI hat sich den sanften Tourismus einverleibt, ihn mit Haut und Haaren aufgefressen. Kein grüner Koffer mehr, kein Studienkreis für Tourismus in Starnberg wird den Kunden Zweifel an ihrer Reise ins TUI-Paradies vermitteln.
„Wir haben verstanden.“
1992 eröffnete der frisch engagierte Unternehmensberater seinen Job als Titelheld des TUI-Katalogs. Für die wunderschönen ersten grünen Seiten des TUI-Katalogs mit dem verantwortungsbewußten Kopf von Dr. Iwand und den hehren Grundsätzen der neuen Unternehmens- und Umweltphilosophie wurden rund fünf Tonnen Druckfarbe benötigt. Das chlorfrei gebleichte Papier war damit für das Recycling verloren.
In den Katalogen 1997 rangiert Iwand in schlichtem Grau auf der Prioritätenliste des Unternehmens nur noch auf dem dritten Platz. Hinter der Kundenberatung im Reisebüro und dem wunderbaren Katalog. Weiter wird sich der kämpferische Iwand nicht abstufen lassen. Und was im Katalog 97 selbst zum Thema Umweltschutz erscheint, das hätte auch jeder Fachhochschulabsolvent der Richtung Umweltschutz aus seiner Diplomarbeit geschüttelt: vereinzelte spärliche Hinweise auf nicht immer saubere Strände, das knappe Wasser in den Sommermonaten und die noch weiter ausbaufähige Müllentsorgung (Malta).
Doch nicht diese kargen Umweltinformationen im Katalog beschreiben das – gewollte – Scheitern des TUI-Umweltengagements, sondern die nach wie vor vorhandenen Angebote für Off- road-Jeep-Safaris auf Zypern, Lanzarote und an anderen Plätzen. Da geht es in die Natur, in die Schutzgebiete des Troodosgebirges und der Halbinsel Akamas zur Aufzuchtstation der Schildkröten.
Daß ein ernsthafter Umweltschutz ohne Verzicht auf solche touristischen Extravaganzen nicht glaubwürdig ist, hatte die taz Dr. Iwand und der TUI bereits 1991 nach der Anhörung im Bundestagsausschuß für Fremdenverkehr bescheinigt:
„Das Wort ,Verzicht‘ geisterte denn auch häufiger in den Redebeiträgen umher. Ein Wort, mit dem ein Unternehmen wie TUI natürlich überhaupt nichts anfangen kann. Ich rauche gern.“
Dr. Iwand hat sich ein umfassendes Wissen über die gesamte Umweltproblematik erarbeitet. Wie kaum ein zweiter kennt er die politischen, sozialen und kulturellen Implikationen des Tourismus – auch wenn er in pfiffiger Selbstbeschränkung nur von den wirtschaftlichen Zwängen und Vorteilen des Umweltschutzes für die TUI zu berichten wußte.
Der Biologe Hubert Markl, Präsident der Max Planck Gesellschaft, beschrieb die Situation des Umweltschutzes 1982 so: „Es geht nicht darum, aus der Industriegesellschaft in die Naturidylle zu flüchten, ein Fluchtweg, der nur in wirklichkeitsfernen Träumen existiert. Es geht darum, daß ,die Rechnung stimmt‘, daß Menschen die Kosten verursachen, weil sie sich etwas leisten wollen, auch den vollen Preis dafür zu spüren bekommen und selbst zu entrichten haben. Dies schließt auch ein, daß manches unbezahlbar, das heißt undurchführbar werden muß, was die Belastung der natürlichen Umwelt noch weiter stört.“
Diese durchaus ökonomischen Anmerkungen des Biologen Markl über den Zustand von Landschaft, Natur und Umwelt konnte Dr. Iwand ebenso wie die sanften Touristiker akzeptieren, allerdings mit dem feinen Unterschied, daß in der TUI nicht der pauschale Verzicht, sondern der Preismechanismus den Umgang mit den Schönheiten der Natur regelt. „Nichts ist unmöglich.“
Die Einladung zur TUI-Umweltdiskussion bringt es auf den Punkt: „Return on nature.“
Iwand lernte nicht nur von den sanft-naiven Touristikern, sondern auch von den hauseigenen Marktforschern und Verhaltenspsychologen. Die konnten ihm auf die Kommastelle genau die kognitive Dissonanz der Kunden vorrechnen. Sie reden vom Umweltschutz, aber nicht einmal die ambitionierten Grünen handeln nach ihren Maximen, wenn's ums Reisen geht. „Sie haben es sich verdient!“
Für Iwands Arbeit gab es immer eine klare Grenze: Das Fernweh der Kunden durfte nie gemindert werden. Sein Umweltengagement sollte diese Sehnsucht fördern, indem es einem schlechten Gewissen vorbeugte. TUI, NUR, LTU und ITS schüren das Fernweh – der Touristikverband finanziert schließlich das Paradies auf Erden für jedermann am blauen Strand unter Palmen, aber sie können tatsächlich nur Transport, Unterkunft, Verpflegung und ein wenig Animation verkaufen. Alles andere bleibt Einbildung und Suggestion. Die Unternehmen der Reisebranche verkaufen das Glück, die Befreiung, die Selbstverwirklichung, das Abenteuer, den Sport, die Kultur und die Landschaft, ohne irgend etwas davon wirklich zu besitzen.
„Unser Kapital...“ Damit sind sie gezwungen – auch aus Gründen der Konkurrenz–, alle die von ihnen so farbenfroh angepriesenen Schönheiten der Welt sich durch die materielle Reiseinfrastruktur, die Flughäfen, die Straßen, die Hotels und Clubs, durch die Lifte, Loipen, Tennisplätze und Spaßbäder, so direkt als möglich einzuverleiben – und zu zerstören. Das Tourismusgeschäft blüht nur da, wo es möglich war, die öffentlichen Güter Landschaft, Natur und Kultur so weit wie möglich zu privatisieren. „Die tun was.“ Daher auch die mafiosen Verbindungen zwischen Kommerz und Kommunalpolitik. Die Gedanken und Vorschläge zur Reglementierung des Zugangs in die Natur, zur Steuerung der Massen über den Preis entsprechen diesen traditionellen Verfahren. Die Ideen eines sanften Tourismus hingegen passen nicht in dieses marktwirtschaftliche Konzept. „Bescheidenheit ist eine schlechte Geschäftsgrundlage.“ Kaum einer weiß das inzwischen besser als Wolf Michael Iwand. Und so offenbart er uns mit der Einladung zur abschließenden TUI-Umweltdiskussion sein neues Arbeitsfeld: das Unesco-Welterbe. Die Umwelt hat als Marketinginstrument ihre Schuldigkeit getan – Kultur ist in und darf teuer sein.
Wir reichen Dr. Iwand an die Kulturredaktion weiter.
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