: Gespensterdiskussionen in Tirana
In Albanien ist die Gefahr eines Bürgerkriegs trotz internationaler Vermittlung nicht gebannt. Auf die Rebellen im Süden hat auch die Opposition in der Hauptstadt kaum Einfluß ■ Aus Tirana Erich Rathfelder
In Tirana geben sich die Diplomaten und Politiker die Klinke in die Hand. Gestern trafen die zehn albanischen Oppositionsparteien erneut mit Staatspräsident Sali Berisha zusammen. Thema: Neuwahlen. Die hatte Berisha nach Oppositionsangaben am Vortag angeboten. Doch Neuwahlen innerhalb von 45 Tagen lehnt die Opposition ab, solange der Ausnahmezustand herrscht und der Präsident die Medien kontrolliert.
Berisha vermeidet es inzwischen, selbst Erklärungen abzugeben. Die Forderungen europäischer Vermittler nach Bildung einer Allparteienregierung und der Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes, nach Medienfreiheit und einer von ausländischen Experten getragenen Untersuchung der Finanzskandale stießen bei Berisha bislang auf taube Ohren. Selbst auf den Vorschlag von Franz Vrantizky, ehemaliger österreichischer Bundeskanzler und Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den Waffenstillstand um 48 Stunden zu verlängern, blieb Berisha bislang die Antwort schuldig. Gestern morgen um sechs Uhr war das Ultimatum an die Rebellen, die Waffen niederzulegen, abgelaufen. Nach Augenzeugenberichten gingen Armee und Polizei zwar in Stellung, einen Angriff zögerte der Präsident offenbar noch hinaus.
Und das nicht ohne Grund: In Gjirokastär, einer der größten Städte im Süden, zeigte sich, daß Berisha sich nicht mehr auf die Armee verlassen kann. Teile der dort ansässigen Garnison sind zu den Rebellen übergelaufen. Die Stadt ist nun in der Hand der Aufständischen. Der Präsident versucht deshalb, die ihm unterstehenden Truppen des Innenministeriums auszubauen. Unter der Leitung des Geheimdienstchefs Bakim Gazidede werden Zivilisten und Reservisten für Sondertruppen mobilisiert; 30.000 Mann sollen diese Truppen jetzt schon umfassen. Angesichts dieses Aufmarsches deutet wenig auf eine politische Lösung der Krise in Albanien hin.
Um eine solche zu erzielen, müßten die internationalen Vermittler auch Kontakt zu den Rebellen im Süden aufnehmen. Doch Franz Vranitzky sah dies nicht als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft an. Gleichwohl mußte er erkennen, daß die Gespräche mit Regierung und Opposition in Tirana die wirklichen Konfliktparteien nicht an einen Tisch bringen. Es wird so getan, als habe die Opposition, die Sozialistische Partei, Einfluß auf den Gang der Dinge im Süden. Doch das ist selbst nach den Worten des ehemaligen Premierministers und führenden Sozialisten Illy Bufi fraglich. Er meint, nur wenn die Forderungen nach Neuwahlen und der Bildung einer neuen Regierung schnell erfüllt würden, könnten die Rebellen zur Niederlegung der Waffen veranlaßt werden. Jede Zeitverzögerung würde die Fronten verhärten.
Für die rebellierende Bevölkerung im Süden sind die Politiker in Tirana allesamt Mitglieder einer Kaste. Dazu werden im Süden auch die Oppositionsparteien gezählt, weil sie ebenfalls dazu aufgerufen haben, die Waffen niederzulegen. Der Volksaufstand entwickelt sich zu einer revolutionären Bewegung für eine Demokratisierung des Landes, ohne daß jedoch die Rebellen selbst auch nur vage Vorstellungen von dieser Demokratisierung hätten. Ihre Kernforderung ist der Rücktritt des Präsidenten. Solange diese Forderung bei den Vermittlungsgesprächen ausgespart wird, ist eine Befriedung der Lage nicht zu erreichen. So finden in Tirana Gespensterdiskussionen statt, weil die wirklichen Konfliktlinien nicht in der Hauptstadt liegen. Erst wenn Vertreter der Rebellen zu Verhandlungen zugezogen würden, wären echte Gespräche möglich.
Präsident Berisha hat kaum noch Machtmittel in der Hand, die Rebellen zur Aufgabe zu zwingen. Den größten Teil seines Sicherheitsapparats braucht er, um den von der Regierung kontrollierten Teil des Landes zu sichern und den Ausnahmezustand durchzusetzen. Wäre dem nicht so, würden sich weitere Städte dem Aufstand anschließen, die Mehrheit der Bevölkerung im Süden, aber auch in Tirana selbst sympathisiert mit den Rebellen. Die Armee ist trotz ihrer Aufrüstung durch deutsche, türkische und US-amerikanische „Hilfsmaßnahmen“ offensichtlich in einem beklagenswerten Zustand und politisch keineswegs zuverlässig. Die Rebellen wissen zudem um ihre psychologische Stärke. „Berisha will mit den Gesprächen und Angeboten nur Zeit gewinnen“, sagt Fatmir Zana, Mitglied des Präsidiums der oppositionellen Sozialistischen Partei. Dies ist eine Strategie, die zu keiner friedlichen Lösung beiträgt. Die Verhärtung der Fronten führt lediglich in den Bürgerkrieg. Der einzig gangbare Weg zur Befriedung der Lage wäre der Rücktritt des Präsidenten. Der jedoch weigert sich hartnäckig, obwohl selbst führende Mitglieder seiner eigenen Demokratischen Partei ihm privat dazu geraten haben.
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