: Keine Importware: Hamburgs Nazis
■ Aufklärung ohne Einordnung: Eröffnung der Dauerausstellung „Juden in Hamburg“
Was ist übriggeblieben von der 400jährigen Geschichte der Juden in Hamburg? Gabriele Fenyes, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, gab bei der Eröffnung der ständigen Ausstellung Juden in Hamburg im Museum für Hamburgische Geschichte am vergangenen Donnerstag eine greifbare Antwort: steinerne Zeugen. Ehemalige Schulgebäude und Synagogen, die heute anderweitig genutzt werden, Gedenktafeln und -anlagen, Straßennamen. Fenyes unterstrich, daß nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten auch Hamburg seine Liberalität und Toleranz verraten hatte. Umso dankbarer sei sie - und sie wurde hierin von Abraham Seligmann, dem Vorsitzenden des Vereins ehemaliger Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel, unterstützt - daß nunmehr durch die neue Dauerausstellung an die jahrhundertelange Geschichte der Juden in Hamburg erinnert werden soll.
Und tatsächlich verfolgt das Museum für Hamburgische Geschichte ein ehrgeiziges Ziel. Auf 600 qm will man „ein lebendiges Bild der jüdischen Kultur und Lebenswelt von der ersten Einwanderung portugiesischer Juden nach Hamburg um 1600 bis in die Gegenwart“entstehen lassen. In neun Kapitel gegliedert, erfährt der Ausstellungsbesucher von der sephardischen und aschkenasischen Einwanderung, von dem zähen Ringen um religiöse, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung im 18. und 19. Jahrhundert. Die weitere chronologische Präsentation jüdischen Lebens streift Kaiserreich und Weimarer Republik, um schließlich im Kapitel „Verfolgung und Vernichtung unter der NS-Herrschaft“zu enden.
Jenseits dieser historischen Entwicklung widmet man sich Themen wie „Jüdische Schulen“, „Juden im Hamburger Wirtschaftsleben“oder den Wohnverhältnissen und Wohngebieten. Zahlreiche Exponate wie der prächtige Hochzeitsvertrag des Manuel Teixeira von 1648, Modelle der Synagogen, der Nachbau der Inneneinrichtung der Synagoge in der Heinrich-Barth-Straße, ein Tora-Vorhang, Kultgegenstände und Gemälde sollen das vielfältige Leben der Hamburger Juden veranschaulichen.
Das Museum für Hamburgische Geschichte hat sich schon mehrfach mit der jüdischen Geschichte der Hansestadt beschäftigt. Erinnert sei an die 1986 gezeigte Ausstellung Ehemals in Hamburg zuhause: Jüdisches Leben am Grindel. Bornplatz-Synagoge und Talmud-Tora-Schule sowie die 1991 gezeigte, vielbeachtete Sonderausstellung Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Doch gerade im Vergleich mit diesen kann die jetzt eingerichtete Dauerausstellung nicht recht überzeugen. Auch wenn man räumliche Begrenzung und didaktische Reduktion konzediert, ist das Kapitel zur Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Hamburger Juden absolut unzulänglich.
Immer wieder ist von „den Nationalsozialisten“die Rede. Man wüßte doch gerne, wer gemeint ist; es wird sich ja nicht um Importware gehandelt haben. Man muß auch nicht jedes Roß und jeden hanseatischen Reiter benennen. Aber Franz Fahning, der sich im April 1939 damit brüstete, daß Modehaus der Gebr. Hirschfeld „in arischen Besitz genommen“zu haben, war nicht der einzige, der von der wirtschaftlichen Verdrängung und finanziellen Ausplünderung jüdischer Bürger Hamburgs profitiert hat. Dennoch ist er der einzige, der erwähnt wird.
Markante Fotos wie das vom „Judenboykott“am 1. April 1933 in der Grindelallee oder von der Bücherverbrennung im Mai, die in Hamburg gleich zweimal inszeniert wurde, bleiben ohne kommentierende Erklärung. Die Anprangerung und öffentliche Diffamierung eines jüdischen Mannes und seiner nichtjüdischen Ehefrau in Cuxhaven lange vor den „Nürnberger Gesetzen“erfährt keine Einordnung. Dabei hat sich gerade die Justiz in Hamburg bei der Verfolgung sogenannter „Rassenschande“durch besondere Härte hervorgetan. Die Gesamtzahl der Opfer der Judenverfolgung in Hamburg ist im übrigen um 900 Menschen zu niedrig angegeben: Das 1995 vom Hamburger Staatsarchiv publizierte Gedenkbuch nennt 8877 Opfer!
So lobenswert die Tatsache ist, daß das Museum für Hamburgische Geschichte endlich dauerhaft eine Ausstellung zur Geschichte und Tradition der Juden Hamburgs eröffnet hat, so unvollkommen ist der aufklärerische Charakter dieser Präsentation. Aber nichts ist unabänderlich.
Wilfried Weinke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen