: Glauben als Haßvorrat
■ Über die Rolle der Religion beim Krieg der orthodoxen Serben und katholischen Kroaten gegen die bosnischen Muslime
Slawen sind sie alle, die Serben, Kroaten und Muslime, und als Abkömmlinge slawischer Stämme wanderten sie im sechsten und siebten Jahrhundert in die Region des heutigen Balkans. Strenggenommen ist deshalb der im bosnischen Krieg geprägte Begriff der „ethnischen Säuberung“ unsinnig. Sie sprechen eine gemeinsame slawische Sprache und sind äußerlich voneinander nicht zu unterscheiden. Ihre Religion ist, was sie unterscheidet.
Die Serben und Kroaten nahmen im neunten Jahrhundert das Christentum an, während die Muslime unter osmanischer Herrschaft zum Islam konvertierten. Eigentlich sollte man also als Religionskrieg definieren, was sich zwischen 1992 und 1995 in Bosnien ereignete. Das „ethnische“ an der Säuberung wäre mithin ein Euphemismus für Religion. Tatsächlich geben die christlichen Regime in Kroatien und Serbien vor, das christliche Abendland vor dem anrückenden Islam zu schützen und verfolgten die Muslime aufgrund ihres Glaubens. Doch auch um einen Religionskrieg handelt es sich bei dem Gemetzel auf dem Balkan nicht wirklich, wie Michael Sells in seinem Buch „The Bridge Betrayed“ argumentiert. Beim Krieg in Bosnien handelte es sich um eine territoriale Aggression Kroatiens und Serbiens. Doch entscheidende Fragen bleiben damit unbeantwortet: Was machte den Krieg so gewalttätig? Wie gelang es den radikalen Nationalisten, sich der Loyalität ihrer Anhänger zu versichern? Und wenn es denn ein reiner Territorialkrieg war, wieso kam es dann zum Genozid?
In seinem gut geschriebenen und überzeugend argumentierenden Buch untersucht Sells die Rolle der Religion in diesem Krieg und legt dessen Wurzeln in der christlichen Mythologie bloß. Der Autor, Direktor der Religionsabteilung am Haverford College, weist nach, daß eine christlich begründete Ideologie dem Vernichtungsfeldzug gegen die Bosnier und ihrer Kultur zugrunde lag. Die katholischen und orthodoxen Vertreter dieser Ideologie, die er Christoslawismus nennt, behaupten, daß nur Christen wirkliche Slawen sind, womit islamische Bosnier zu Verrätern am Slawentum gestempelt werden.
Sells verfolgt die christoslawische Mythenbildung und die Rationalisierung des Völkermords gegen slawische Muslime in die Zeit der Niederlage zurück, die Serben 1398 im Kampf gegen vorrückende osmanische Heere in Kosovo erlitten.
Die Motive, die diesen Mythen zugrunde liegen, durchziehen serbische Folklore und Literatur und waren in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts Bestandteil des öffentlichen Diskurses in den Medien geworden. Muslime erscheinen durchweg als die anderen, als Christusmörder und Häretiker und als perverse Sadisten. Slawische Muslime und osmanische Türken werden zu Synonymen und gelten als fremde, nichteuropäische Rasse, deren Ziel die Zerstörung des christlichen Slawentums ist.
Diese Propaganda organisierte die Serben um nationalistische Ziele und förderte die Bereitschaft, Krieg gegen Muslime zu führen und deren Ausrottung gutzuheißen. Der Vorwurf, Muslime strebten die Vernichtung der Serben an, reichte der serbischen Führung als Vorwand für den Vernichtungsfeldzug gegen die Muslime.
Weniger überzeugend ist Sells' Nachweis christoslawischen Einflusses in Kroatien und auf kroatische Bosnier. Zweifelsohne ist das Denken vieler kroatischer Nationalisten von den gleichen religiösen Stereotypen geprägt, das die Serben motiviert, und mit ihnen träumen sie den Traum von einem ethnoreligiös reinen Staat.
Hier jedoch verheddert sich der Autor in den Widersprüchen einer rein religiösen Interpretation des Krieges in Bosnien. Zwar hat die serbisch-orthodoxe Kirche das Vorgehen der serbischen Führung offen unterstützt und deren Kriegsverbrechen entweder gedeckt oder geleugnet, die katholische Kirche in Kroatien und in Bosnien aber – vor allem Papst Johannes Paul II. – haben die kroatische Kriegführung gegen die Muslime offen verurteilt.
Eine Interpretation dieses Krieges, die nur dessen religiöse Wurzeln sucht, verliert seine Ultima ratio aus den Augen, die in territorialer Eroberung und im Beutemachen besteht. So bezeichnet Sells das Hardliner-Regime der herzegowinischen Kroaten als den christoslawischen Staat Herzeg-Bosna und spricht von dessen „christoslawischen Streitkräften“. Diese Etikettierung suggeriert, daß Religion und nicht der Schwarzmarkt die treibende Kraft der kroatischen Mafia war. In Wirklichkeit moti- vierte das Bedürfnis lokaler Warlords nach dem Anschluß an ein größeres Kroatien deren Kriegführung.
Sells, ein Amerikaner serbischer Abstammung, schont die Serben und Kroaten in seiner Analyse nicht. Ihnen weist er die Verantwortung für die Zerstörung Bosniens zu. Das Buch setzt sich mit den wohlfeilen Erklärungsmustern des Krieges auseinander und läßt weder den Bürgerkrieg noch die gedankenlos gebrauchte Floskel von der „Jahrhunderte alten Feindschaft“ gelten. Das sind Begriffe, die letztlich den Blick auf die Realität verstellen. Er nennt Völkermord, was Völkermord ist – etwas, wovor Politiker sich gern drücken. Paul Hockenos
Michael Sells: „The Bridge Betrayed: Religion and Genocide in Bosnia“. University of California Press, Los Angeles 1996, 212 Seiten, 19.25 Dollar
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