: Gern auch ohne Gewerkschaft
Das freut den Chef: Bei der Berliner Multimedia-Agentur Pixelpark arbeiten leistungsorientierte Dreißigjährige schnell, viel und nicht fürs Geld ■ Von Hannes Koch
Lösen die Graphiker ihren Blick in diesem Moment vom Bildschirm, reiben sie sich die Augen. Vier Stockwerke unter ihnen beginnt der Feierabend. Vier Uhr. Durch die hohen Bürofenster sehen sie gegenüber die Siemensarbeiter aus den Fabrikhallen strömen. Bei der Berliner Multimedia-Agentur Pixelpark im früheren Arbeiterviertel Berlin-Moabit ist der Tag noch lange nicht zu Ende.
Auf den Schreibtischen flimmern die Monitore fast rund um die Uhr. Arbeitstage von zehn und zwölf Stunden sind keine Ausnahme. Und die Überstunden werden bei Pixelpark nicht extra bezahlt. Wer länger arbeitet, tut es sich und der Firma zuliebe, wer schneller fertig wird, hat Glück gehabt. Das allerdings kommt eher selten vor. Die Selbstausbeutung erreicht das Niveau von selbstverwalteten Betrieben – nur, daß den Angestellten ihre Firma nicht gehört.
Pixelpark existiert seit sechs Jahren und gehört schon zu den ersten Adressen der neuartigen Werbewirtschaft in der Bundesrepublik. Die Branche entwickelt sich rasant. „Wir machen gerade den Sprung von der handgemalten Bibel zum Buchdruck“, sagt der 36jährige Pixelpark-Gründer und Geschäftsführer Paulus Neef. So explosiv die neue Technik, so anarchisch die Arbeitsverhältnisse. Die Entlohnung ist Verhandlungssache jedes einzelnen, der Betriebsrat wurde noch nicht erfunden. Doch viele der 130 MitarbeiterInnen machen einen nahezu euphorischen Eindruck – geradeso, als wären sie selbst die Unternehmer.
Dabei erreicht der Leistungsdruck oft genug die persönliche Schmerzgrenze. Der 26jährige Florian Dengler betreut als Creative Director ständig ein halbes Dutzend Firmenkunden und die entsprechenden Projektgruppen der Agentur gleichzeitig. „Es ist richtig viel Streß.“ Länger als zwei Tage sei er nur äußerst selten krank. Lieber pumpe er sich mit Medikamenten voll.
Bei seiner 28jährigen Kollegin Tanja Diezmann stellten sich im vergangenen Jahr herbe Verschleißerscheinungen ein. „Ich war wie leergezutzelt“, sagt Diezmann. Sie nahm eine außerplanmäßige sechswöchige Auszeit. Eine Woche schliff sie im alten Haus von Freunden Deckenbalken ab. Abends tanzte sie in der Technodisco. Stundenlang saß Diezmann am Alexanderplatz und sah den Leuten bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu. „Bewußtes Leben – davon bekommt man bei dem Job nicht soviel mit“, sagt die kreative Direktorin. Besonders anstrengend sei es, die Grenzen des Mediums ständig auszudehnen und neue Ideen entwickeln zu müssen. Ideen, die niemals mit Händen zu greifen sind. Sie bleiben immer virtuell: bloße Erscheinungen auf dem Monitor.
Pixelpark muß sich seinen Markt erst machen. Die skeptischen Werbeabteilungen von Firmen überredet man, von den althergebrachten Plakatwänden und Zeitungsanzeigen Abschied zu nehmen. Statt dessen baut die Agentur Texte, Filme, Graphiken und Musik zu multimedialen Werbepaketen zusammen. Die neuartige Reklame sendet dann zum Beispiel ein Hersteller von Sportschuhen über das Internet und vertreibt sie auf CD-ROM. In Kaufhäusern stehen schon Computerterminals, um jugendliche Kundschaft zum Kauf zu animieren.
Der vielgerühmten Offenheit des weltweiten Informationsnetzwerkes wurde die Architektur des Pixelpark-Büros angeglichen. Mühelos durchdringt der Blick die gesamte ehemalige Fabriketage. Glaswände vom Boden bis zur Decke teilen ovale Arbeitsräume ab, die die MitarbeiterInnen „Blubbs“ nennen. Kreuz und quer stehen die Arbeitstische, Satzfetzen fliegen hin und her, vermischt mit Radiomelodien. Der Geräuschpegel erinnert an Supermärkte. Wie bunte Fische auf den Bildschirmschonern der Computerprogramme schwärmen die Multimedia-ArbeiterInnen umher – angetan mit extravaganten Karoanzügen und dicken, roten Uhren. Die Haarschnitte sind so kompliziert wie ihre Arbeit.
Ein fortwährendes Kommen und Gehen hilft, die Kommunikation nicht abreißen zu lassen. „Wir haben hier quasi ein permanentes Meeting“, sagt Tanja Diezmann. Fast alle haben zu fast allem etwas zu sagen – oft sitzen Graphiker, Konzeptentwickler, Softwarespezialisten und Verkäufer zusammen an dem zentralen, spitzovalen Tisch, der „Surfbrett“ heißt.
Doch nicht alle mischen sich ein. Die Graphiker bleiben meistens stumm. Sie sind die Proletarier der Multimedia-Gesellschaft. Als Ausführende bauen sie am Bildschirm die Bilder, die andere vor ihrem geistigen Auge entwerfen. Das schlägt sich auch im Lohn nieder. Das Einstiegsgehalt für Graphiker liegt bei 23 Mark brutto pro Stunde. Manchen bezahlt die Firma aber weniger. Die Vergütung erscheint um so bescheidener, als das Arbeitspensum durchaus rigide bemessen wird. Paulus Neef freut das: „Wir arbeiten hier doppelt so schnell wie andere Firmen.“
Den Anfängerlohn hochgerechnet, würde sich bei einem Regelarbeitsverhältnis ein Monatsbrutto von 3.680 Mark ergeben. Verglichen mit den asketischen Gehältern von Alternativbetrieben wie der taz liegt Pixelpark zwar gut im Rennen. Gerd Nierenkötter aber, von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Düsseldorf, legt die Stirn in Falten. „Das ist vergleichbar mit dem Lohn einer Verkäuferin.“ Die HBV hat 8.000 Beschäftigte von Datenverarbeitungsbetrieben befragt und deren Durchschnittsgehälter ermittelt. Demnach liegt das Einstiegsgehalt bei Pixelpark um einiges unter der niedrigsten Lohngruppe (DatenerfasserInnen) und dürfte ruhig um 1.000 Mark höher ausfallen. Die Agentur ist kein Einzelfall. Das Lohnmodell vieler Datenbetriebe „funktioniert nur unter der Bedingung eines großen Angebotes von Arbeitskräften von den Universitäten“, weiß Nierenkötter. Bei Pixelpark arbeiten die Hälfte der Daten-Designer offiziell freiberuflich. Die meisten sind knapp unter 30 Jahre alt.
Die Gehälter der Multimedia- Branche sind wesentlich niedriger als in der etablierten Werbewirtschaft, wenn auch in einzelnen Fällen Gehälter bis zu 10.000 Mark im Monat bezahlt werden. Eine Ursache: Selbst Pixelpark als ein Star am Multimedia-Himmel kommt gerade mal auf 100.000 Mark Umsatz pro Mitarbeiter. Während die milliardenschweren Konzernkunden Millionen für traditionelle Werbekampagnen ausgeben, ringen sie sich ihre Mulitmedia-Aufträge in 50.000-Mark-Beträgen ab. Internet und CD-ROMs gelten noch als Schnickschnack und Luxus. Außerdem fehlt in der neuen Branche die Gewerkschaftsmacht. IG Metall einerseits, IG Medien und HBV andererseits rangeln um die Beschäftigten und treten sich dabei auf die Füße.
Wenn Sven Kulawinski, der Leiter des Sportschuhprojekts, auf der Gehaltsleiter aufsteigen will, muß er zunächst einen Bewertungsbogen ausfüllen. Auf dem Blatt soll er seine Leistung selbst mit Noten einschätzen. Beim ersten Mal wollte er nicht, doch die Leitung sagte: „Du sollst“. Selbsttäuschung bei der Eigenbenotung nützt nicht viel, denn die Geschäftsleitung füllt denselben Bogen aus – auf der Basis eingehender Erkundigungen bei den KollegInnen. Die Vorgesetzten befragen diejenigen, die auf der gleichen oder einer höheren Hierarchiestufe mit dem Antragsteller stehen.
Ein schmerzliches Verfahren? „Man muß ehrlich zu sich selbst sein“, so Kulawinski. Und Florian Dengler findet die Bewertung durch KollegInnen „ganz angenehm“, weil sie eine objektive Basis biete, um Konflikte zu lösen. Wenn er Fehler gemacht habe, müsse er sich damit auseinandersetzen, könne seine Position im Gespräch mit den Chefs aber auch ins rechte Licht rücken. Das Modell garantiert zweierlei: Die Geschäftsführung ist auf dem laufenden, was die Arbeits- und Sozialkompetenz ihrer Beschäftigten angeht. Außerdem werden Schwachstellen aufgedeckt, was das Leistungsniveau erhöht. Daß KollegInnen die Bewertung mißbrauchen könnten, um sich Vorteile zu verschaffen, heißt es schlicht, komme nicht vor.
So wie der Lohn individuell ausgehandelt wird, existiert auch kein Betriebsrat, der gemeinschaftliche Interessen wahrnehmen könnte. Ganz Kinder der Computerrevolution, sind die individualistischen Multimedia-ArbeiterInnen mit den technischen Möglichkeiten ihres hausinternen Datennetzwerkes vollauf zufrieden. „Wir haben hier eine Art Mini-Betriebsrat“, sagt Pressesprecherin Anna Hansen. Jeder kann jedem mittels „Quickmail“ Nachrichten von Bildschirm zu Bildschirm schicken. Schnell ist der Ärger in ein paar digitale Sätze verpackt – weggebeamt und verraucht. Wer Schwerwiegenderes auf dem Herzen hat, kann am Mittwochnachmittag in Paulus Neefs Büro kommen und sein Anliegen vortragen.
Die deregulierten Arbeitsverhältnisse versüßt Pixelpark seinen MitarbeiterInnen mit flexibler Zeitgestaltung. Wer ein Kind hat, kann von 40 Vertragsstunden auf 30 heruntergehen. Manche arbeiten drei Tage im Büro und zwei zu Hause. Außerdem besteht die Aussicht auf einen schnellen Aufstieg. Tanja Diezmann begann vor drei Jahren als Aushilfe. Heute entwirft sie federführend die Gestaltung von CD-ROMs und Internetseiten.
So schnell, wie man aufsteigt, sucht man jedoch auch das Weite. „Ich bin eine von den ganz Alten“, sagt Diezmann. Nur ein Drittel der Leute, mit denen sie begann, ist heute noch dabei. Weniger der Leistungsdruck allerdings treibt die Beschäftigten fort, als der Wunsch nach Abwechselung und mehr Geld. Stefan Köhler etwa schaffte von Pixelpark aus den Sprung nach oben: Als selbständiger Firmenberater verdient er nun um die 2.000 Mark pro Tag.
Der Betrieb bietet seinen Beschäftigten allerdings noch etwas anderes – das Wichtigste neben Geld und Karriere. „Den Zuckerguß“, sagt Gewerkschafter Nierenkötter, „die nette Philosophie“. „Visionär – evolutionär – revolutionär“, lautet das Motto der Agentur. Damit hat Gründer Neef den in der Branche herrschenden Zeitgeist und den Geschmack seiner Angestellten zugleich getroffen. Man wähnt sich der Zeit immer eine Länge voraus, erklärt den Kunden, wie die Zukunft aussehen wird. Dafür lohnt es sich zu arbeiten – auch zwölf Stunden am Tag.
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