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Lautstarke Proteste unter Sonnenschein

7.000 Bauarbeiter aus allen Teilen der Bundesrepublik legten gestern Europas größte Baustelle lahm  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Am Gerüst des Mosse-Palais, dem ersten fertigen Gebäude am Leipziger Platz, hängt ein riesiges Transparent. „400.000 Bauarbeiter arbeitslos – die Regierung läßt uns im Regen stehen“ steht darauf geschrieben. Kaum 100 Meter weiter, am Potsdamer Platz, blockieren bei warmem Sonnenschein etwa 300 Bauarbeiter die Autowege. Auf einem Spruchband steht: „Für ganzjährig gesicherte Einkommen.“ Als Polizei die Blockierer auffordert, die Straße zu räumen, singen die Bauarbeiter: „Jetzt geht's los.“ Wenig später, wieder zurück in ihren Bussen, versprechen sie: „Wir kommen wieder“.

Zum Bauarbeiterprotest an der größten Baustelle Europas hatte die Industriegewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt aufgerufen. Über 7.000 Bauleute, die meisten von ihnen aus Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, hatten sich schon am frühen Morgen zu einer Mahnwache versammelt, um auf ihre katastrophale Lage aufmerksam zu machen. Von 400.000 Arbeitslosen berichtet der Chef der Baugewerkschaft, Klaus Wiesehügel. Als Ursache dafür nennt er zum einen die Abschaffung des Schlechtwettergeldes durch die Bundesregierung, zum anderen die Beschäftigung von Bauarbeitern zu Dumpinglöhnen. Die „Grenze des stummen Protestes“, so Wiesehügel, sei nun erreicht.

„Überall hier wird Geld reingesteckt“, schimpft Herbert Hölzel aus Weißenburg in Mittelfranken und zeigt auf die Daimler-Bürohäuser, die am Potsdamer Platz langsam aus dem Boden wachsen. „Aber gleichzeitig sind die meisten Kollegen in Berlin arbeitslos.“ Klaus Pankau, der Berliner IG- BAU-Vorsitzende, pflichtet ihm bei. Den verbliebenen 34.000 gewerblichen Bauarbeitern in der Hauptstadt stünden mittlerweile 30.000 EU-Arbeiter und 25.000 illegale Bauarbeiter gegenüber. Nur noch jeder dritte Bauarbeiter kommt aus der Berliner Region.

Bis Freitag sollen die Proteste in Berlin fortgesetzt werden. Hauptforderung ist neben der Einhaltung des im vorigen Jahr vereinbarten Mindestlohns die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes. Dieser Lohnersatz für Bauarbeiter, die im Winter nicht arbeiten konnten, wurde bis 1995 von den Arbeitsämtern, den Arbeitgebern und den Bauarbeitern bezahlt.

Auf dessen Abschaffung reagierten die Baufirmen mit saisonbedingten Kündigungen. Von den 400.000 arbeitslosen Bauarbeitern seien alleine 220.000 wegen fehlenden Schlechtwettergelds joblos, so Wiesehügel. Inzwischen hat auch Bauminister Klaus Töpfer (CDU) diese Regelung als „Fehlschlag“ erkannt. Das mit den Baufirmen statt dessen vereinbarte Winterausfallgeld habe nur noch mehr Menschen arbeitslos gemacht.

Unbeeindruckt von den Protesten prognostizierte Fritz Eichbauer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, einen Rückgang der hiesigen Bauinvestitionen um 2,5 Prozent. Und: Zur Jahrhundertwende würden statt heute 1,3 Millionen Menschen nur noch 900.000 auf dem Bau arbeiten: „Wir haben noch eine Durststrecke vor uns.“

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