: Deutsche Papiere, britisches Hirn
■ Gen-Analyse beweist: BSE-Rind „Cindy“ stammt nicht aus Deutschland, sondern ist die mit falschen Papieren eingebürgerte britische Importkuh „Scottish Queen“. Briten verscharrten tote BSE-Rinder, anstatt sie zu verbrennen
Berlin (taz/AP) – Das in Höxter vor drei Monaten an BSE verendete Rind „Cindy“ war in Wirklichkeit gar nicht „Cindy“. Es war auch nicht ihre eigene Mutter „Camelia“ und auch nicht „Rita“. Nein, so versicherte gestern in Bonn der Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Franz-Josef Feiter, das BSE- Rind hieß „Scottish Queen“ und wurde direkt aus Großbritannien importiert. Ihm wurde offenbar in einem mecklenburgischen Betrieb in Parchim die falsche Identität eines angeblich im Juni 1992 neugeborenen Kalbs namens „Cindy“ gegeben. Nun sei bewiesen, sagte Feiter, daß auch der fünfte BSE-Fall in Deutschland seinen Ursprung eindeutig in Großbritannien gehabt“ habe. „Deutschland ist BSE-frei.“
Das Landwirtschaftsministerium hatte zuletzt im Februar gemutmaßt, das BSE- Rind sei in Wirklichkeit das Importrind „Rita“ gewesen. Doch dieses Mal nun sei die Identität mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ geklärt, so die Forscher der Universitäten Göttingen und Bonn: Das Erbgut des BSE-Rindes stimmt mit dem der Kuh „Quenny“ überein, eine Tochter von „Scottish Queen“. Bewiesen ist damit aber auch, daß der Schutz vor Etikettenschwindel beim Rindfleisch hierzulande mangelhaft ist. Nicht gerade beruhigend für die Verbraucher.
Auf die Tötung aller britischen Importrinder wird diese Entdeckung zunächst keinen Einfluß haben. Zwar ist mit der Erbgutanalyse nun klar, daß BSE in diesem Fall nicht von der Mutter an das Kalb weitergegeben wurde. Doch es ist nicht bewiesen, daß das nicht möglich ist. Britische Studien legen nahe, daß jedes zehnte Kalb einer BSE-kranken Kuh ebenfalls an Rinderwahnsinn erkrankt. Das Ministerium will daher weiter die Kälber von Importrindern unter Quarantäne halten und beobachten. Auch bleibt es bei der geplanten Tötung aller direkt importierten Rinder aus Großbritannien. Am Freitag soll der Bundesrat die Eilverordnung des Landwirtschaftsministers Jochen Borchert (CDU) in einer Dauerverordnung umwandeln.
Laut Rinderzüchteranwalt Dirk Büge hat die Klärung von „Cindys“ wahrer Identität auch keinen Einfluß auf den Rechtsstreit zwischen Landwirten und dem Ministerium über die Massentötungen der Importrinder. Seines Erachtens decke das Tierseuchengesetz nach wie vor die Rindervernichtung nicht.
Der Agrarstaatssekretär von Mecklenburg-Vorpommern, Hermann Steitz, erklärte, Nachforschungen hätten ergeben, daß von zehn im Juli 1991 importierten Rindern sieben in sein Bundesland gegangen seien. Neben „Scottish Queen“ sei auch das Rind „Camelia“ darunter gewesen. Es wurde in die Niederlande verkauft und dort geschlachtet. „Camelia“ galt als Mutter von „Cindy“, was aber durch die Erbgutanalyse widerlegt wurde.
Steitz sagte, auch „Scottish Queen“ habe Nachkommen gehabt, nach denen jetzt geforscht werde. Sie seien höchstwahrscheinlich in die Niederlande und in den Betrieb nach Ostwestfalen gegangen, in dem der jüngste BSE-Fall aufgetreten war. Die Tiere dieses Bestands wurden inzwischen alle getötet und beseitigt.
Auch von den britischen Inseln wird Schlamperei vermeldet: Die Regierung Major hat zugelassen, daß die Kadaver von mehr als 6.000 BSE-Rindern im Boden vergraben worden sind. Wie viele tote Tiere an welchen Stellen beerdigt worden sind, lasse sich nur unter großem Kostenaufwand feststellen, sagte Landwirtschaftsminister Hogg, da es kein Zentralregister dafür gebe. Das Vergraben von Rindern, die an BSE gestorben sind, verstößt gegen britische Richtlinien.
Das Landwirtschaftsministerium behauptete 1995, daß „sämtliche BSE-verdächtigen Fälle getötet und zerstört“ worden seien. Selbst auf direkte parlamentarische Anfragen der Labour-Abgeordneten Helen Jackson erklärten die beiden Staatssekretäre Tony Baldry und Roger Freeman, die Tiere seien verbrannt worden – Massengräber gäbe es nicht. Experimente haben ergeben, daß der Erreger des Rinderwahnsinns jahrelang im Boden überlebt. Matthias Urbach/Ralf Sotscheck
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