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Der Bürgerkönig von Kreuzberg

Der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz ist ein Jahr im Amt. Von der CDU als „vaterlandsloser Geselle“ beschimpft, engagiert er sich für die Rechte der ImmigrantInnen  ■ Von Dorothee Winden

Die CDU hat ihn zum König von Kreuzberg gekrönt. Vor genau einem Jahr gaben die ChristdemokratInnen bei der Bürgermeisterwahl dem Bündnisgrünen Franz Schulz ihre Stimmen, um im Gegenzug ihr Wunschressort Finanzen und Wirtschaft zu bekommen. Inzwischen „verurteilt“ die CDU die Amtsführung des Grünen „auf das schärfste“. Der alternative Bürgermeister spiele sich auf wie der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., der den Absolutismus zur Vollendung führte, heißt es.

Was die rechtslastigen Kreuzberger Christdemokraten ins Mark trifft, sind die symbolischen Gesten des Bürgermeisters: Beim DFB-Pokalendspiel im Frühjahr 1996 erhob sich Schulz nicht zur Nationalhymne. Die CDU schäumte, er habe ein „gestörtes Verhältnis zu den Symbolen des demokratischen Rechtsstaates“. „Selbstherrlich“ habe er am Kreuzbergdenkmal lesbische und schwule Paare getraut. Beide Male beantragte die CDU beim Innensenator disziplinarische Maßnahmen, doch die Senatskanzlei als oberster Dienstherr schlug die Verfahren jedesmal nieder.

Die CDU ärgerte sich so sehr über den Grünen, daß sie ihre Kritik an dem „vaterlandslosen Gesellen“ per Flugblatt in Kreuzberger Briefkästen beförderte. Der 47jährige nahm es mit Humor und bedankte sich bei der CDU für die kostenlose Werbung.

Der Kern der Vorwürfe von CDU und SPD ist jedoch, daß Schulz zuweilen die BVV übergehe. Sein Vorpreschen bei der Einrichtung des längst beschlossenen Bürgerbüros, quittierten CDU und SPD vor kurzem mit einem Mißbilligungsantrag in der BVV. Der Streit drehte sich um die weltbewegende Frage, ob das Bürgerbüro in den dritten oder in den ersten Stock des Rathauses einziehen soll. Weil Schulz die Einrichtung im dritten Stock zügig vorantrieb, fühlten sich SPD und CDU übergangen. Doch Schulz verweist auf den einstimmigen BVV-Beschluß zur Einrichtung des Bürgerbüros vom März 1996. Eine bürgernahe Verwaltung liegt ihm am Herzen. Das Bürgerbüro sei schließlich „das einzige, was für den Bürger bei der Verwaltungsreform sinnlich erfahrbar ist“.

Es hat schon eine gewisse Ironie, daß die SPD nun Schulz vorhält, was die CDU stets dem SPD- Vorgänger Peter Strieder vorwarf. „Strieder hat auch immer, an der BVV vorbei, das gemacht, was er für richtig hielt“, sagt der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Jörg Becker. Nur habe Strieder dies immer „charmant, mit einem Lausbubenlächeln“ verkauft, wogegen Schulz eher verbissen wirke. Auch Strieder trug schon den Titel Sonnenkönig. Doch anders als der SPD-Mann, der sich stets geschickt in den Medien inszenierte, stürzt sich Schulz fleißig und detailversessen in die Sacharbeit. Während Strieder in der türkischen Bevölkerung eine Einbürgerungskampagne führte, aber die Stellen in der Einbürgerungsstelle nicht aufstockte, sorgte Schulz bei seinem Amtsantritt dafür, daß mit zusätzlichem Personal der gewaltige Rückstau an Einbürgerungsanträgen abgearbeitet werden konnte.

Kein Bürgermeister hat sich so stark für die Immigranten des Stadtteils engagiert wie Schulz. So unterstützt Schulz eine Initiative des Rates der Bürgermeister, das kommunale Wahlrecht auf Nicht- EU-Ausländer auszudehnen. In Kreuzberg ist ein Viertel der Bevölkerung – vor allem Türken – von den Kommunalwahlen ausgeschlossen. Auch in den Ausländerbeirat hat Schulz Schwung gebracht, stellt der grüne Bezirksverordnete Özcan Mutlu fest.

Das Verhältnis zwischen SPD und Grünen hat sich entspannt, sagt Schulz. „Ich komme mit den SPDlern gut aus. Mit denen gehe ich privat auch mal essen.“ Rot- grüne Übereinstimmung gibt es nicht nur im Sozial- und Jugendbereich. „Wohlwollend“ registrierte die SPD auch, daß Schulz dem Innensenator Paroli bot, als dieser die Sozialämter zum verlängerten Arm der Polizei machen wollte. Das Bezirksamt sei nicht bereit, der Polizei mitzuteilen, wann ein Ausländer das nächste Mal im Sozialamt erscheine, so Schulz. „Wir fanden es gut, daß er sich vor die SPD-Sozialstadträtin gestellt hat“, sagt Becker. Und auch die von Schulz forcierte Parkraumbewirtschaftung für die Parkplätze des Bezirksamtes trägt die SPD mit. Nur die Parkgebühren für die Beschäftigten der Verwaltung müßten gerechter gestaffelt werden. Doch trotz der Gemeinsamkeiten stimmt die SPD mal mit der CDU, mal mit den Grünen. Das Ende der Konfrontation bedeutet noch lange keine Kooperation. „Mit uns stimmt Schulz nichts ab“, sagt der SPD-Verordnete Becker.

Nach einem Jahr sieht das Bürgermeisterbüro im Rathaus Kreuzberg noch so aus, wie Schulz es von seinem Amtsvorgänger Peter Strieder übernommen hat. Die mit Holz verkleideten Wände sind kahl, in der Ecke hängt ein dunkler Ölschinken. Schulz ist „noch nicht dazu gekommen“, moderne Kunst aufzuhängen. Außerdem braucht er Platz, um die Bebauungspläne aufzuhängen. Stadtplanung war das Wunschressort des Physikers. Hier sorgte er dafür, daß die Bürgerbeteiligung in den Sanierungsgebieten erhalten bleibt.

Nicht erfüllt haben sich die Hoffnungen, mit einer Allianz der drei grünen und der fünf PDS-Bürgermeister den Rat der Bürgermeister als Gegengewicht zum Senat zu stärken. Der Bürgermeisterrunde attestiert Schulz zu wenig Eigenständigkeit: „Der Rat der Bürgermeister ist ein Anhängsel der Senatskanzlei.“

Mit den PDS-Bürgermeistern gebe es in Haushaltsfragen und in der Stadtplanung viele Übereinstimmungen. Das gilt auch für die Runde der grünen und PDS-Baustadträte, der Schulz angehört. „Die Kontroversen brechen erst auf, wenn die Partei ins Spiel kommt“, stellt Schulz fest. Immerhin ist die CDU in einem Punkt mit dem Grünen zufrieden: als Gegner der Bezirksgebietsreform habe Schulz sich „für die Interessen des Bezirks eingesetzt“. Dorothee Winden

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