: Geschmack auf Schleichwegen
■ Apollo 440 und Hooverphonic auf einer Cool Vibes Tour, die besser Diebes-Tour hieße
Wer viel weiß, hat viel geklaut. Wer aber sein geklautes Wissen zu absichtlich einsetzt, dem spricht Gott die Identität ab. Doch was ist Identität viel mehr als die bessere Variante von Konformismus. Also, rein bleiben und weiter klauen, sonst droht die Selbstvergessenheit der Besserwisser.
Diese kleine Predigt für Apollo Four Forty sei hier gehalten, weil das Trio aus dem Schattenreich von MTV in Camden sonst nur als Hoflieferant von ran-Fußball-Melodien und Erzeuger von Hitparadeneuphorie ohne Mehrwehrtsteuer denunziert wird. Die singenden Trommeln der Tanz-Hymne an Gene Krupa und „Ain't Talkin' Bout Dub“sind nicht böse, nicht independent, nicht innovativ und schon gar nicht sonderlich originell – wozu auch, sie sind einfach prima. Anspruchslose Glücklichkeit soll doch manchmal gar nicht so schlecht sein. Die Verwurstung von 70er-Jahre-Rock, die Apollo Four Forty in ihren Gute-Laune-Potpourris so gerne betreiben, macht Led-Zeppelin-Magie zu einem Liedabschnittspartner von Ambient und Cocteau Twins und läßt allen ihr Recht. Nur ein Beispiel. Kein Grund zum Haß also.
Hooverphonic haben es weniger schwer mit der Anerkennung durch den fortschrittlichen Geschmack. Ihre Effektgeilheit verleiht dem dicken Harmonieton ihrer Stücke immer den Hauch von Ironie, ohne den ihr Langfingertum beim Schmuseerbe der Popmusik wahrscheinlich eher unerträglich wäre. Und sie stehlen deutlich subtiler Bestandteile und keine Hooklines.
Daraus montieren die Pommesköpp dann kleine Rundschauen. Sängerin Lies Sadonis nimmt diese Bellevues über die englischsprachige Musiklandschaft als Inspira-tion zu echten Oden an nordische Götter, die noch erfunden werden müssen. Während sich die Cowboys des schlechten Geschmacks auf Schleichwegen ihrem Aussichtspunkt nähern und im Gepäck Flöten- und Drumsoli anschleppen, erhebt sich Sadonis Stimme endgültig über die Banalitäten eines Songs und entschwindet im nächsten Lied. Das ist es, glaube ich, was man Kreativität nennt. Auch gut. Till Briegleb So, 16. März, 21.30 Uhr, Mojo
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