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Große Klappe – viel dahinter

Arm, weiblich, schwarz: Delia Zamudio, Feministin, ehemalige Schering-Arbeiterin und Gewerkschafterin aus Peru, hat ihre „Schwächen“ in Stärken verwandelt  ■ Ein Porträt von Nathalie Daiber

Ihr Mund ist groß. Ihre Lippen ziehen sich streng in Falten, wenn sie ernst ist. Wenn sie lacht, blitzen ihre Zähne, und ihr Mund wird noch größer. Ihr ganzes Gesicht ist ein Lachen.

Der Mund, das ist Delia Zamudios Waffe.

In Armut aufgewachsen, als Schwarze diskriminiert, als Frau unterdrückt – gleich dreifach ist sie Opfer der Verhältnisse. Aber: Sie hat ihre „Schwächen“ in Stärken verwandelt, denn „alles, was ich erlebt habe, hat mich wachsen lassen“. Sie wurde zur Gewerkschaftsführerin und Feministin, weil sie nie den Mund hielt. Heute arbeitet die 54jährige in einer Frauengruppe in einem Armenviertel Limas und bekämpft die alltägliche Gewalt gegen Frauen.

„Ich wache heute noch schweißgebadet auf und weine, wenn ich an meine Kindheit denke“, sagt Delia. Sie schiebt ihre Uhr am rechten Handgelenk hoch: Eine große Narbe kommt zum Vorschein. „Ich trage die Uhr, um diese Wunde zu verstecken. Meine ,Tante‘ hat mir hier ein heißes Bügeleisen auf die Hand gedrückt.“

Ihre „Tante“ war ihre Arbeitgeberin. Wie viele junge arme Mädchen arbeitete Delia als Hausmädchen bei reichen Peruanern in Lima. „Ich verbrannte einen ihrer schönen Unterröcke und das Bügelbrett.“ Sie war eingeschlafen, denn sie hatte schon den ganzen Tag gebügelt. Da habe ihr die „Tante“ das heiße Eisen auf den Handrücken gedrückt.

Delias Augen blicken panisch und hilfesuchend um sich, sie scheint wieder 14 Jahre alt zu sein. Warum gerade diese Mißhandlung sie so bewegt, kann sie auch nicht erklären. Denn sie ist viel in ihrem Leben verprügelt worden – von ihrer Mutter, ihrer „Tante“, ihrem Stiefvater, ihrem Ehemann. „Heute gibt es noch immer viele arme Mädchen, die als Hausmädchen arbeiten. Fast jeden Tag steht ein Mädchen vor meiner Tür und sagt, sie hält die Prügel nicht mehr aus“, erzählt Delia. Sie blickt flehentlich: „Ich versuche, den Müttern in meinem Viertel zu erklären, daß sie trotz ihrer Armut ihre Kinder nicht weggeben sollen.“

Delia, Mutter von zwei Töchtern, ist keine Intellektuelle. In ihrer einfachen Sprache hat sie ein Buch, „Frauenhaut“, über ihr Leben geschrieben: „Weil ich nicht will, daß andere Frauen genauso leiden und sich so klein fühlen wie ich“, sagt sie mit Nachdruck. Delia, klein? Selbst die Dolmetscherin blickt sie irritiert an. Ihre Körperstatur mag mit ungefähr 1,60 Meter klein sein, aber Delia kann mit ihrer Anwesenheit den Raum ausfüllen. Die strengen Falten um ihren Mund berichten davon: Delia Zamudio ist stur. Mit Gradlinigkeit und Konsequenz hat sie sich Respekt erkämpft.

Auch gegenüber ihrer Mutter. Diese hatte sich von ihrem Vater getrennt und war mit ihren kleinen Kindern nach Lima gegangen. Ihr Vater war schwarz, ihre Mutter hellhäutig. „Schon in meiner Familie habe ich erfahren, daß Schwarzsein Dummsein heißt.“ Ihre Mutter schickte sie nicht zur Schule, denn die Hoffnungen lagen auf Delias Halbgeschwistern. Die hatten keinen schwarzen Vater, waren hellhäutig, durften schreiben und lesen lernen. In Peru stehen die Schwarzen, die von den Spaniern als Sklaven ins Land gebracht worden waren, ganz unten in der Pyramide der Ethnien. „Meine Schwester zeigte mir ein Buch und sagte, na, lies mal. Sie wußte genau, daß ich nicht lesen kann, und lachte mich aus.“

Die neunjährige Delia blieb zu Hause, mußte den Haushalt übernehmen und auf die Geschwister aufpassen. Ihre Mutter ging arbeiten. Delia war nicht dumm, sie wollte lernen. Sie wechselte in den Haushalt der „Tante“, die zwar nicht mit ihr verwandt war, aber reich. Tagsüber arbeitete sie als Hausmädchen und betreute die Kinder, abends ging sie zur Schule. Ihre Mutter war beeindruckt. Die Tante nicht. „Als mich meine ,Tante‘ mit dem Bügeleisen verbrannt hatte, lief ich weg. Mit 14 ging ich zurück zu meiner Mutter.“ Diese aber hatte inzwischen wieder geheiratet. Ihr Stiefvater habe die Kinder geschlagen, auch sie selbst, berichtet sie. Mehrmals habe er sogar versucht, sie sexuell zu mißbrauchen. „Einmal wollte er mich in sein Zimmer locken, indem er in den Nachttopf pinkelte und mir befahl, den Topf auszuleeren.“ Als sie ins Zimmer kam, habe er sie gepackt. „Ich wehrte mich, kratzte, biß und schlug um mich.“ Er auch – mit einem Gürtel mit Metallschnalle.

Ihre Mutter sei ins Zimmer gestürmt und habe sie ebenfalls verprügeln wollen. „Aber meine Großtante sagte zu ihr: ,Deine Tochter hat Fieber und ist ohnmächtig. Bring sie um, wenn ihr dann zufrieden seid!‘ Ich muß so schrecklich ausgesehen haben, daß meine Mutter weinte, als sie mich sah.“ Dennoch habe sie damals geglaubt, Prügel seien einfach eine Erziehungsmethode.

Tatsächlich sind Gewaltakte gegen Kinder und Frauen in einem so verelendeten Land wie Peru noch verbreiteter als in Industrieländern: Sie sind Ausdruck gewalttätiger Verhältnisse. Deshalb versucht Delia Zamudio heute, den Frauen in ihrem Viertel durch Bildungsarbeit beizubringen, sich nicht unterkriegen zu lassen, „aber die meisten Frauen sind völlig verängstigt, oder ihre Männer verbieten ihnen, sich weiterzubilden“.

Die junge Delia ging wieder arbeiten – als Hausmädchen in einem anderen Haus. Nach sechs Monaten kehrte sie zu ihrer Mutter zurück, drohte ihr aber: „Wenn dein Mann wieder zu dir kommt, dann gehe ich.“ Er kam nicht wieder. Ihre Mutter hatte gelernt.

„Ich haßte meine Mutter. Aber als ich 25 war, sprachen wir über alles. Sie hatte gemerkt, daß ich zurückzuckte, immer wenn sie mich umarmen wollte. Dann erzählte sie mir, daß sie selber als Kind schlimm mißhandelt wurde. Sie entschuldigte sich bei mir, und wir weinten zusammen.“ Erleichterung steht der 54jährigen ins Gesicht geschrieben.

Delia schloß die Grundschule ab, arbeitete in verschiedenen Fabriken und ab 1966 in der peruanischen Niederlassung des deutschen Schering-Konzerns. Dort trat sie in die Betriebsgewerkschaft ein und redete sich zu deren Vorsitzenden (siehe Kasten).

„Diese verrückte Frau Zamudio mit ihrem verrückten Amt“, hieß es in der Gewerkschaft. Delia erkämpfte einen ganz neuen Posten: Sie wurde die erste Frauenbeauftragte der Gewerkschaft. Sie kämpfte gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und für mehr Rechte der Pharma-ArbeiterInnen. „Als ich das erste Mal bei einem Kongreß die Forderungen der Gewerkschaftsfrauen vortrug, wurde ich ausgelacht.“ Delia war damals eine der wenigen Frauen im Dachverband der Gewerkschaft: „Zuerst war ich ratlos. Dann aber beschimpfte ich sie, und sie ließen mich reden.“

27 Jahre war sie bei Schering und in der Gewerkschaft, aber 1992 kam die neoliberale Regierung unter Präsident Alberto Fujimori an die Macht. „Globalisierung der Märkte hieß deren Politik.“ Angewidert verzieht Delia das Gesicht. Sie verlor ihren Job bei Schering. Bis dato konnte ein Konzern seine Produkte nur in Peru verkaufen, wenn er auch dort produzierte. Nun aber schloß Schering seine Tore in Lima, weil sich dieser Standort „nicht mehr lohnte“. „Ich fiel in ein tiefes Loch. Ich hatte das Gefühl, daß mein Leben ausgelöscht wird.“ Mit ihrem Job war sie auch ihren Posten in der Gewerkschaft los, und „alles, was wir an Rechten erkämpft hatten, wurde gestrichen“. Zum Beispiel das Recht auf einen Kindergarten im Betrieb, wenn mehr als 50 Frauen dort arbeiten.

Mit 49 stand Delia ohne Job da, ohne Krankenversicherung, ohne Geld. Sie eröffnete einen kleinen Lebensmittelladen in ihrem Haus. „Immerhin habe ich jetzt mehr Zeit für meine politische Arbeit, auch wenn das Geld fehlt.“ Ihr Mundwerk verschaffte ihr eine neue Aufgabe: „Zufällig war ich bei einer Stadtteilversammlung und riß sofort meinen Mund auf, als ich feststellte, daß es keine Frauenbeauftragte in der Vertretung gab“, sagt sie verschmitzt. Heute ist sie die Präsidentin der Stadtteilvertretung und kämpft für ein Haus für geschlagene Frauen.

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