: Schadstoff der Woche
Über die Asbestbelastung im Palast der Republik wird heiß diskutiert, doch über Gifte in der eigenen Wohnung wird kaum gesprochen ■ Von Matthias Fink
Die meisten Unfälle passieren im Haushalt, die meisten Menschen sterben im Bett. Wer das traute Heim der fremden, bösen Außenwelt vorzieht, hört das nicht gerne. Ist es nicht zu Hause immer noch am schönsten, vor allem wenn man dort alles picobello sauber hält, dauernd renoviert und möglichst dichte Fenster einbaut? Nein. Gifte in der Wohnung sind gar nicht so ohne, auch wenn sie statistisch nicht so oft erfaßt werden wie ihre Artgenossen in öffentlichen Gebäuden.
Auch wer nicht zu Mandys Jugendweihe im Palast der Republik gespeist hat, könnte etwa asbestgefährdet sein. Die kleinen Fasern, die sich in der Lunge festsetzen und dort öfters Krebs verursachen, sind vor allem dann gefährlich, wenn sie in einem Produkt schwach gebunden vorkommen. Ältere Toaster, Nachtspeicheröfen oder Föne gehören zu den gefährlichen Utensilien. Die Fasern lösen sich mit der Zeit heraus. Beim Renovieren staubt möglicherweise Asbest aus der Unterbeschichtung eines 60er-Jahre-Fußbodens. Vor allem in der DDR wurden Asbestzementplatten als Zwischenwände eingebaut. Hier ist Asbest an den Zement gebunden und daher nicht ganz so gefährlich wie schwach gebundener Asbest etwa in der Dichtung einer Ofenklappe. Bohren, schleifen oder sägen sollte man in den Wänden trotzdem nicht.
Um Abhilfe zu schaffen, sollte man sich auf jeden Fall vorher beraten lassen. Wer selbst an den asbesthaltigen Produkten herumreißt, setzt oft mehr Fasern frei, als wenn er den bedrohlichen Stoff in Ruhe ließe. Außerdem muß man oft das Baujahr von Geräten oder Wohnungen wissen, um überhaupt zu erfahren, ob damals Asbest verwendet wurde. Falls sich der Kontakt mit Material oder Staub doch einmal nicht vermeiden läßt, etwa bei versehentlicher Beschädigung, sollte man keinen Staub aufwirbeln, sondern naß aufwischen. Sägen und basteln sollte man auch nicht, wenn Möbel oder Spanplatten Formaldehyd enthalten. Auch wenn der krebserregende Stoff heute in geringerer Konzentration enthalten ist, kommt bei vielen Schnittstellen oder Bohrlöchern doch eine beträchtliche Menge zusammen. Karsten Klenner, Pressesprecher des Umweltbundesamtes in Berlin, nennt ein weiteres Problem: „Die Möbel sind besser geworden, aber die Leute haben auch mehr davon in der Wohnung.“
Auch andere Stoffe, die mit viel Trara aus öffentlichen Gebäuden verbannt wurden, finden sich in Wohnungen. Die staatliche Verantwortung ist hier längst nicht so groß, die Belastung möglicherweise größer. „Man hält sich viel länger zu Hause auf als am Arbeitsplatz. Gerade was während des Schlafes aufgenommen wird, ist schwerwiegend“, weiß Axel Wichmann vom Beratungs- und Analyse-Verein für Umwelt-Chemie (B.A.U.C.H.) in Berlin. Probleme bereiten etwa Fugen, in denen Dichtmassen sitzen. Hier könnten Polychlorierte Diphenyle (PCB) enthalten sein, eine Gruppe langlebiger Stoffen, die sich im Fettgewebe anreichern und Krebs verursachen können. Seit 1983 sind sie in Deutschland verboten.
Manche Gifte galten früher geradezu als Errungenschaft. Während Asbest bis in die 80er Jahre als feuerschützend angepriesen wurde, warben Hersteller von Holzschutzmitteln, indem sie Angst vor Schädlingen und Fäulnis schürten. Inzwischen ist der Wirkstoff Pentachlorphenol (PCP) verboten, nachdem eine Reihe von Todesfällen bekannt geworden waren, die auf den Aufenthalt in behandelten Räumen zurückgeführt wurden. Ungefährlich sind Holzschutzmittel auch heute nicht. Anstriche, die für die Außenwände gedacht sind, sind zu giftig für die längst nicht so luftigen Innenräume. Nötig ist eine solche Behandlung obendrein nicht.
Aber auch das alte PCP kann weiterhin den Menschen gefährden. Es breitet sich, von den behandelten Hölzern ausgehend, auch in Sekundärquellen aus. Wenn das giftige Holz längst beim Sondermüll ist, kann etwa aus dem Teppich noch reichlich PCP ausdünsten. Bei der Jagd auf Schädlinge schießen auch Privatleute übers Ziel hinaus. Mottenkugeln oder Fliegenspray schädigen den Menschen, vor allem wenn Pyrethroide im Spiel sind. Diese Nervengifte wirken auch beim Menschen und beeinflussen die Nervenreizleitung.
Gegen Motten, deren Raupen Wäsche zerfressen, helfen auch ältere Hausrezepte wie Säckchen mit Nelken. Auch lohnt es sich, muffige Wäsche vor dem Wegpacken doch lieber noch zu waschen oder den Mülleimer, in dem Fliegen fliegen, einfach auszuleeren.
Die Teppichindustrie warnt trotzdem aus wohlverstandenem Interesse vor den Motten, die sich gerade auch in Böden gerne niederlassen und vor allem AllergikerInnen gefährden. Manchmal heißt es gar, ein schlampig arbeitender Kammerjäger würde mehr Gift ins Heim bringen als die fachgerecht und gesetzeskonform in der Fabrik präparierten Bodenbeläge. „Einen Teppichboden so zu behandeln, ist in jedem Fall Quatsch“, meint Axel Wichmann von B.A.U.C.H. Der Mottenschutz habe vielmehr eine Funktion für die Lagerhaltung der Hersteller. In den Wohnungen gebe es höchstens seltene „Einzelfälle, in denen Motten an den Teppich gehen“. Staubsaugen hält den Teppich schon recht sauber. Das Problem, daß der Staub durch das Gerät wieder in die Wohnung geblasen wird, ist in den letzten Jahren geringer geworden, weil die Industrie immer feinere Filter entwickelt hat. AllergikerInnen sollten trotzdem daran denken. Auch hat schießlich nicht jeder Geld für das neueste Modell übrig. Ob aufgewirbelter Staub oder die immer noch aus vielen Farben austretenden Lösungsmittel – Lüften verringert Wohngifte. Auch Feuchtigkeit und die menschlichen Giftstoffe wie Zigarettenrauch werden dabei reduziert: Kurzes Durchlüften bei ganz geöffnetem Fenster bringt dabei mehr als ein dauerhaft auf Kipp gestelltes Fenster.
Nicht viel hilft das Lüften bei manchen Putzaktionen im Bad. Wer basische Sanitärreiniger mit einem der zahlreichen säurehaltigen Reinigungsmittel zusammen verwendet, erzeugt giftige Gase wie Chlorgas. Im Krieg darf es wegen seiner verheerenden wirkung seit Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt werden. Wer die entsprechenden Warnungen auf den Flaschen der Sanitärreiniger nicht beachtet, kann ein medizinisch ähnliches Ende finden wie der Großvater vor Verdun oder Langemarck.
„Das Problem der Wohngifte hat etwas an Aufmerksamkeit verloren“, meint Klaus Klenner vom Umweltbundesamt. „Es gibt nicht mehr den Schadstoff der Woche. Aber man kann auch keine Entwarnung geben.“
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