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„Bei Portugiesen ist das klimabedingt“

20.000 Bauarbeiter demonstrierten am Freitag in der Hauptstadt gegen die Abschaffung des Schlechtwettergeldes – und gegen die „Schmutz- und Billigkonkurrenz aus dem Ausland“  ■ Aus Berlin Constanze von Bullion

Viermal, schätzt Gino Pastore. Viermal soviel wie die Deutschen arbeiten die Italiener. Und zehnmal soviel wie die Portugiesen auf dem Stahlgerüst nebenan. „Natürlich kriegen wir nie deutsche Spitzenlöhne“, weiß der Polier aus dem norditalienischen Udine, „aber mein Job in Berlin geht trotzdem in Ordnung – va bene.“

In Ordnung geht für ihn auch, daß ein paar hundert Kollegen am Freitag die Baustelle am Reichstag gestürmt und Baupläne angezündet haben. Oder daß eine Armada von Rotjacken Flugblätter zwischen den Betonmischern auf dem Potsdamer Platz verteilt. „Lohndumping verhindern“ und „Mindestlohn durchsetzen“ steht auf den Zetteln der Gewerkschaft – in polnisch und portugiesisch. Gino Pastore nickt gelassen. „Wenn ich Deutscher wäre, würde ich heute auch auf die Straße gehen.“

Auf die Straße gegangen sind in Berlin gestern 20.000 Bauarbeiter. Kranführer und Stahlflechter, Zimmerleute und Maurer, Poliere und Hilfsarbeiter legten zum fünften Mal hintereinander den Verkehr in der Berliner City lahm. „Gegen Tarifbruch und Rausschmiß-Politik“ hat die IG Bau zum Sturm geblasen, weil sich die Tarifverhandlungen im Baugewerbe am Donnerstag abend festgefahren haben.

Um Massenentlassungen wie im letzten Winter zu vermeiden, schlägt die Gewerkschaft ein Ausgleichsmodell vor: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Bundesanstalt für Arbeit sollen zu je einem Drittel das gestrichene Schlechtwettergeld ersetzen. Der SPD-geführte Bundesrat unterstützt das Vorhaben mit einem Gesetzentwurf, die Arbeitgeber lehnen es ab. In Berlin geht man deshalb seit Tagen auf die Straße. Weil „wir die Leute aufwiegeln wollen, die nicht gewohnt sind, das Maul aufzumachen“, sagt André Scharschuch aus Neustadt in Sachsen.

Neben einem Lagerfeuer aus Holzbohlen, das im Kranwald auf dem Potsdamer Platz vor sich hinkokelt, schiebt Scharschuch seit einer Woche Mahnwache. Betondachsteine hat der gelernte Schlosser zu DDR-Zeiten hergestellt. „Bis zur Währungsunion haben die Leute uns die Ziegel aus den Händen gerissen“, erzählt er, „dann wollten die plötzlich nur noch Westprodukte.“ Scharschuch verlor seinen Job an der Betonmühle. Zehn Firmen hat er seit der Wende durchlaufen, immer wieder flog er raus. „Auch, weil ich nie die Gosche halten konnte.“ Jetzt ist die große Klappe ihm zum Beruf geworden.

„Top oder Flop“ hießt die Aktionsgruppe der IG Bau, für die der Sachse Baustellen in der ganzen Republik ansteuert. Unangemeldet tauchen die Jungs in den feuerroten Jacken beim Polier auf und erkundigen sich nach den Arbeitsbedingungen. „Vielen Kollegen muß man erst mal die Augen öffnen.“ Was Scharschuch immer öfter findet in den Lohntüten der Kollegen, dafür würde er selbst „nicht einmal mit der Zehe wackeln“.

Gerade in den neuen Bundesländern werde gemogelt, was das Zeug hält. „Der Arbeitgeber stellt sich oft hin und sagt: ,Ich zahle nach Tarif.‘ Aber was er einem Facharbeiter dann gibt, ist der Tarif für einen Pförtner, fünf bis zehn Mark die Stunde.“ In Chemnitz steckte Scharschuch seine Nase in die Bücher einer Firma, „die war längst pleite, völlig überschuldet. Aber statt Konkurs anzumelden, hat der Chef einfach sechs Monate keine Löhne mehr ausbezahlt. Da wird mit der Angst der Leute gespielt.“

Dazu komme die leidige Sache mit der „Schmutz- und Billigkonkurrenz aus dem Ausland“. Der Gewerkschaftsmann hat sie längst auf dem Kicker, die illegalen Arbeitskräfte aus Osteuropa und den EU-Ländern. Trotz Entsendegesetz würden die „von Menschenhändlern eingeschleppt“, bekämen „nur sieben Mark die Stunde“ und lebten „unter menschenunwürdigen Bedingungen“. Scharschuch macht ein Kopfbewegung zu ein paar aufgestapelten Blechcontainern mit gelblichen Gardinen am Fenster. Hier wohnen die zugereisten Arbeiter, für die ein Hotel zu teuer ist.

Daß Schweizer Kracher und Bierdosen wenig später gegen die Blechburgen fliegen, verbucht man bei der IG Bau nicht als Fremdenfeindlichkeit. „Wir sind nicht gegen Ausländer“, beteuert André Scharschuch. „Aber ein portugiesischer Arbeiter kann eben nicht die Leistung bringen wie ein deutscher. Das ist klimabedingt.“ Von der „fachlichen Qualifikation“ gar nicht zu reden.

Daß einfach alle Fremden runterklettern von den Baugerüsten, kann sich bei der IG Bau allerdings auch niemand vorstellen. „Zum Teil braucht man sie doch“, weiß der Gewerkschaftsmann aus Sachsen. „Es gibt Firmen aus Italien, die sind auf Tunnelbau spezialisiert. Solche Leistungen bietet hier niemand an.“

Vier Baustellen weiter, wo die Büropaläste der Friedrichstraße in den Himmel wachsen, steht ein Polier auf seinem Rohbau und zuckt mit den Schultern: „Wir haben Deutsche gesucht und keine gekriegt“, erzählt er. „Da kamen immer nur Leute vom Arbeitsamt, die haben uns erklärt, warum sie nicht geeignet sind.“ Eine Truppe portugiesischer Betonverschaler dirigiert der Mann jetzt mit knappen Kommandos über rostige Stahlgitter. Alvaro Martins aus Fundão bellt die Befehle auf portugiesisch hinterher. „Ich arbeite seit 33 Jahren in Deutschland“, erzählt er. „Ob ich zurückgehe, wenn die Rente kommt, weiß ich noch nicht genau. Sicher ist nur, daß meine Steuergelder hierbleiben in Deutschland.“

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