: In Albanien geht kaum noch jemand unbewaffnet vor die Tür. Ob im Süden oder in der Hauptstadt Tirana, jede Familie scheint mittlerweile im Besitz einer Kalaschnikow zu sein - Self-service in allen Kasernen des Landes. Die Läden sind geschlo
In Albanien geht kaum noch jemand unbewaffnet vor die Tür. Ob im Süden oder in der Hauptstadt Tirana, jede Familie scheint mittlerweile im Besitz einer Kalaschnikow zu sein – Self-service in allen Kasernen des Landes. Die Läden sind geschlossen, viele Menschen versuchen das Land zu verlassen. Sie haben Angst, daß es bald nichts mehr zu essen gibt.
Selbstbedienung im Waffendepot
Verschwitzt und über und über mit Mehl bestäubt, laden die Männer die weißen Säcke mit dem kostbaren Mehl in Autos, auf Pferdekarren, Fahrräder, Handkarren oder einfach auf die Schulter. Zusammen haben sie die Türen aufgebrochen und sich dann bedient. Jeder kriegt was ab, deshalb gibt es auch keinen Streit. Wer aber hier, einen Kilometer vom Skanderbeg- Platz im Zentrum Tiranas entfernt, ein Foto machen oder die Plünderer filmen will, hat ganz schnell einen Gewehrlauf vor der Nase.
In Albaniens Hauptstadt geht keiner mehr ohne Gewehr aus dem Haus. Sich eine Waffe zu beschaffen ist kein Problem. „Uns haben sie alle sieben Depots geplündert“, sagt der Offizier einer Luftabwehrdivision. In einem davon waren 10.000 leichte Gewehre. „Wir Albaner brauchen Waffen und Mehl“, sagt Xhurxhi Kujtim, ein Chemielehrer. „Die Waffen, um uns zu verteidigen, das Mehl, um Brot zu backen. Das ist unsere Tradition.“
Sieben Kilometer weiter nordwestlich: der Flughafen von Tirana, Rinas. Jeder, der sich dem Eingang nähert, wird von den dort postierten Polizisten angeschrien: „Weg! Weg! Die Leute hier haben alle Waffen!“ Vom Rollfeld sind Schüsse zu hören. Plötzlich rast ein Lieferwagen aus der Ausfahrt. Einer der vier Männer drinnen schießt wild um sich. Die Passanten werfen sich in Panik in den Straßengraben.
Im Zentrum von Tirana ist es halbwegs ruhig. Alle Läden sind geschlossen, davor stehen schwerbewaffnete Männer und winken jeden böse weiter, der es wagt, stehenzubleiben. Vor den öffentlichen Gebäuden wachen Soldaten, das Gewehr bei Fuß. Vor den Büros der ausländischen Fluggesellschaften drängen sich verängstigte Menschen, Panik im Gesicht. Doch alle Tickets sind schon lange ausverkauft, und der Flughafen ist seit Donnerstag geschlossen. Aus Sicherheitsgründen.
„Ich fahre gleich noch zum Kombinat und hole mir ein Gewehr aus dem Waffenlager, wenn es noch offen ist“, sagt der Taxifahrer. „Schließlich ist jeder bewaffnet, da muß ich mich doch auch verteidigen.“ Es ist seine vorerst letzte Fahrt.
„Wir bewaffnen uns, weil die im Süden das ja auch getan haben“, sagen die Leute, die sich die letzten Gewehre aus der völlig demolierten Militärschule in Tirana holen. Die Menschen in der Hauptstadt mißtrauen den Südalbanern, sie sind anders. Ob sie hier für oder gegen Präsident Sali Berisha sind, können sie nicht sagen. „Ein Gewehr, das macht doch immer Freude“, ruft einer übermütig und schießt in die Luft.
Am Stadtrand auf der Hauptverkehrsstraße Richtung Süden, da, woher die Aufständischen anrücken werden, ist kein einziger Soldat zu sehen. Einzig zwei verrostete Panzer stehen dort.
In vielen Vororten der Hauptstadt haben die Menschen Barrikaden aufgebaut. „Das ist alles so schrecklich. Albanien war noch nie so wie jetzt“, sagt eine junge Frau an der Straße. „Keiner hier blickt noch optimistisch in die Zukunft. Berisha tut zu wenig – und er tut es zu spät.“ Der Kneipier, der sich neben sie gestellt hat, meint: „Hier gibt es doch gar keine Regierung. Jedermann, angefangen mit Berisha, ist schuld an unserer Lage. Es ist doch klar, daß die Leute in Panik geraten. Sie glauben, daß es bald nichts mehr zu essen gibt.“ Adrian Brown (AFP), Tirana
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen