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Rotkäppchen und der Haribo-Bär

Vom Streik im Arbeitslosenkampf: Szenen aus Berlin, der Hauptstadt des Bauarbeiter-Protests  ■ Von Dorothee Wenner

Selten hat Janusz R. das Wochenende so sehr herbeigesehnt: Der 43jährige Bauarbeiter aus Niederschlesien wohnt in einem Container am Potsdamer Platz, ein paar hundert Meter nur von der „Mahnwache“ der IG Bauen-Agrar-Umwelt entfernt. Geschlafen hat er nur wenig – aus Angst vor den „Rotkäppchen“, so nennt er die Männer mit den leuchtenden Gewerkschafts-Schirmmützen, die auch nachts mit Trillerpfeifen und Fackeln demonstriert haben.

Zwar wurde von den Gewerkschaftern im Laufe der Woche selten versäumt klarzustellen, daß die „armen Schweine“ (Klaus Wiesehügel von der IG BAU), also die ausländischen Billiglohn-Arbeiter, nicht die Schuldigen der Massenarbeitslosigkeit seien – allein, Janusz versteht kein Deutsch und war zumeist auf der Baustelle, als gegenüber der Info-Box oder am Gendarmenmarkt Reden geschwungen wurden.

Bestens informiert war er dagegen, wo und wann die arbeitslosen deutschen Kollegen die Baustellenzäune eingetreten haben. Etwas früher als sonst huschte er deswegen schon um kurz nach halb sechs durchs „debis“-Tor, die Arbeitskleidung in einer Aldi-Tüte versteckt, um Demonstranten nicht mit dem Anblick seines Helms zu provozieren. Unterwegs marschierten die ersten deutschen Gewerkschafter in Arbeitskluft in entgegensetzter Richtung an ihm vorbei, mit roten Fahnen, unterwegs zur morgendlichen Kundgebung.

Daß Berlin letzte Woche zur Hauptstadt des Bauarbeiter-Protests wurde, ist angesichts der „größten Baustelle Europas“ ebenso naheliegend wie symbolisch. Doch hätte sich nirgendwo deutlicher offenbaren können, wie obsolet der traditionelle Arbeitskampf geworden ist. Es hatte etwas Rührendes: Da kamen von nah und fern Männer angereist, denen man ansah, daß sie – zumindest in der Vergangenheit – schwere, körperliche Arbeit gewohnt waren. Davon übriggeblieben ist eine gewisse Wetterfestigkeit.

Tatsächlich waren die meisten der Demonstranten nur noch dem Selbstverständnis nach Bauarbeiter, die Mehrheit von ihnen war arbeitslos, krank geschrieben oder sogar auf Urlaubsbasis unterwegs. Aus dieser Position heraus läßt sich allerdings nur schwer mit den Leuten verhandeln, die für die Misere des deutschen Baugewerbes verantwortlich sind: Streiks fallen als Druckmittel für Leute, die Arbeit wollen, nun einmal aus.

Es mutete grotesk an, als am Freitag ein Aktivist durchs Megaphon rief: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!“ Dabei wurde der Arbeitsablauf auf den Baustellen im Laufe der Woche kaum ernsthaft unterbrochen, selbst wenn mal die Bau-Logistik- Brücke blockiert wurde, reichten die Betonreserven vor Ort, um den Terminplan einhalten zu können.

Mit Mützen und Fahnen ins Fernsehen

In Ermangelung personifizierbarer Gegner achtete die Gewerkschaftsführung darauf, die Proteste zumindest medienwirksam zu inszenieren. Dazu gehörte neben einem herzlichen „Guten Morgen!“ Richtung ZDF-Frühstücksfernsehen die beeindruckende Ausstattung der Demonstranten mit roten Schirmmützen, Regenjacken und Fahnen. Die kamen besonders gut zur Geltung, als sich am Freitag der Demonstrationszug für ein Stündchen spaltete: Allzu verlockend schien ein ungeplanter „Ausflug“ zur Baustelle am Reichstag, wo schnell der Bauzaun zur Seite gerückt war: „Wir wollen auch mal 'ne Baustelle von innen sehen!“

Die Avantgarde der Erzürnten erstürmte das Hauptportal, um auf dem Sockel – ähnlich wie am 8. Mai 1945 – rote Fahnen zu schwenken: „Jetzt geht's los!“ Das entzückte die Fernsehleute, und die Polizei ließ die Demonstranten eine Weile gewähren. Es war, als hätten spielfreudige Fußballer einen Rasen gefunden, allerdings ohne Ball, nur mit Tröten in der Hand. Deswegen folgte man bald dem Aufruf der Gewerkschaft, die Demonstration da fortzusetzen, wo „uns die Bevölkerung sieht“ – und lief Richtung Brandenburger Tor.

Unterwegs allerdings flogen Steine in die Fenster der weißen Baucontainer: „Geht doch nach Hause!“ grummelte es an der Basis dann doch, obwohl sogar im Flugblatt der Republikaner zu lesen war: „Daß Ausländer nach Berlin kommen, um hier harte DM zu verdienen, kann ihnen niemand vorwerfen.“ Der Maurer aus Brandenburg meinte dazu: „Der Pole kann eben von 8 Mark die Stunde zu Hause gut leben!“

Während neben ihm die Steine flogen, verteilte ein Aktivist mit einem aufgespießten Kohlkopf auf der Schulter weiter Haribo-Bärchen aus dem Bauchladen. Das war wohl als Sympathiewerbung für die Bevölkerung gedacht? Die jedoch ließ sich nur vereinzelt blicken, ansonsten gingen einige „echte“ Bauarbeiter im „Adlon“ ihrer Tätigkeit nach. Einer von ihnen machte gerade im Bauwagen Frühstückspause – und wurde ordentlich durchgerüttelt. Ein beherzter IG-BAU-Aktivist rettete ihn, indem der die arbeitslosen Kollegen dazu brachte, statt des Bauwagens nur ein Klohäuschen umzuwerfen.

Kurze Realismen im Symbolgeschehen

Diese kleinen Scharmützel am Rande schienen minutenweise eine heikle Realität in das Symbolische der Veranstaltung zu bringen – doch bei der Abschlußkundgebung war dieser Eindruck wieder verschwunden. Junge Zimmerleute munterten mit Schildern wie „Lauter!“ „Buh!“ oder „Applaus“ zum Mitmachen auf – als handele es sich um ein Theaterstück, das nach einem V-Effekt verlangt. Dann erklärte ein Gewerkschafter, für den Fall, daß demnächst die deutschen Polizisten durch ausländische Billiglohnkräfte ersetzt würden, würde die IG BAU gerne im Gegenzug für die geleistete Kooperation während der vergangenen Woche für Ordnung bei den zukünftigen Polizei-Demonstrationen sorgen.

„Einmal im Reichstag gewesen, drei Steine geworfen, kein Brand, kein Toter, naja!“, resümierte ein Mülheimer Demonstrant auf dem Rückweg zum Bus, entlang der Sony-Baustelle. Etwas melancholisch schweifte sein Blick durch den Zaun, hinter dem eine hübsche Polizistin dafür sorgte, daß die ausländischen „Billiglohnkräfte“ wieder unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen konnten. Und Janusz ist am späten Freitag abend doch nach Hause gefahren: Er mußte dringend mal ausschlafen.

Als gut ausgebildeter „Kontingent-Arbeiter“ mit zweijähriger Arbeitserlaubnis gehört er, obwohl ohne deutschen Zweitpaß, zu den eigentlich begehrten Fachkräften aus dem Osten. Doch die sollen demnächst, so sieht es das neue Arbeitsförderungsreformgesetz vor, allmählich gegen Portugiesen ausgetauscht werden. „Po- Po-Pro“ heißt im Kürzel das „Portugiesen-statt-Polen-Programm“, mit dem die Billiglohnkräfte aus dem Osten gegen Arbeiter aus armen EU-Ländern ausgetauscht werden sollen. Und wenn in China ein Sack Zement umfiele – es würde die deutschen Bauarbeiter nicht weniger interessieren.

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