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Auferstehung eines Toten

■ Walter Ulbricht machte alles: Wandern durch die Republik und Arbeiten für die Sache. Nur Sex hatte er nicht. Ein Kinoflirt mit dem "Baumeister des Sozialismus"

Wann eigentlich hatte Walter Sex? Am Tag, als er den Grundstein für Stalinstadt legte? Am Tag, als er den Zweijahresplan präsentierte? Am Tag, als Adolf Hennecke „eine noch nicht dagewesene Leistung im Bergbau“ erbuddelte? Wann, verdammt noch mal, hatte Walter Ulbricht Sex? Und mit wem? Nur mit Lotte, diesem haarnetztragenden Pummelchen im Blümchenkleid? Nie mit einer sächsischen Braut in einer Klitsche am Leipziger Hauptbahnhof oder einer launigen Russin im verstaubten Kreml zu Moskau? Oder vielleicht doch mit Adolf Hennecke, dem stählernen Schwarzenegger, in einer tiefen Grube? „Der Kampf ist unser Lebensinhalt“, hat Lotte einmal dem Frauenschreckblatt Für Dich geflüstert. Mehr soll da nicht gewesen sein?

Mehr war da nicht. Im Rückblick, so auch in seinem Geburtstagsepos „Baumeister des Sozialismus“, 1953 anläßlich seines 60. gedreht, dann im Tresor versteckt, jetzt wieder aus dem Nachttisch hervorgekramt und im Zeughaus- Kino zu sehen; im Rückblick erscheint Walter Ulbricht als eine kommunistisch-sozialistische Jungfrau mit Spitzbart, weißem Hemd und Bundfaltenhose. Freilich: Mal gibt es homoerotische Anzeichen, etwa die kraftvollen Handschläge mit Teddy Thälmann in den frühen und mit Pieck und Grotewohl in den späten Jahren. Mal pädophile, etwa die Streicheleinheiten über die Köpfchen der Jungpioniere hinweg. Mal asexuelle, etwa beim Tischtennis mit Lotte im Grünen. Gemeinsames Duschen danach? Unvorstellbar!

Für Sex blieb Walter gar keine Zeit. 1907 bis 1911 Tischlerlehre; 1908 Eintritt in die sozialistische Arbeiterjugend; 1910 Eintritt in den Deutschen Holzarbeiterverband; 1912 in die SPD. Weitere Eintritte sind auf 42 Zeilen im „Wer ist wer“ der DDR nachzulesen. Und dann natürlich die langen Märsche durch die junge Republik. Durch die Berliner Stalinallee (Frankfurter Allee), durch Stalinstadt (Eisenhüttenstadt), durch die miefigsten Schweineställe und den dicksten Schnee im Thüringer Wald. Walter war überall und stetig unterwegs. Für das Gute und Schöne im ersten Arbeiter-und- Bauern-Staat, für die Jugend vor allem, die Werktätigen und die Genossen im besonderen und die Sache im allgemeinen.

Was alle schon immer wußten über Walter Ulbricht, den SED- Chef und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, können jetzt alle schwarz auf weiß nachsehen. In einer milchigen Lebensschau, beginnend bei den Kinderjahren (O-Ton des Filmtexters Stephan Hermlin: „Walter war ein guter und fleißiger Schüler. Er wußte nämlich, daß man lernen muß, um einmal im Leben seinen Mann zu stehen, besonders dann, wenn man gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen will“) und endend im Jahre 1953 (O-Ton, immer noch Hermlin: „Mit Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl erhielt Walter Ulbricht die höchste Auszeichnung der Republik, die mit dem Namen von Karl Marx verbunden ist. Er trägt sie als einer der drei Würdigsten – mit riesengroßer Liebe und Verehrung vieler Millionen. Er, der Schöpfer unserer Pläne, der Mann des Augenblicks und schnellen Entschlusses – er, der Genosse Walter Ulbricht“). Er, der geklonte Stalin (O-Ton Autor), hat sein Geburtstagsgeschenk auf Zelluloid nie genießen können. Der Aufstand der Arbeiter am 17. Juni 1953 kam der Jubelfeier zu seinem 60. Geburtstag am 30. Juni zuvor. Der Film verschwand mit der Begründung: Ein Loblied in diesen Tagen hätte den Abgesang auf die Republik provoziert.

„Lotte hat bedauert, daß der Film nie gezeigt wurde“, erinnert sich Christel Grandy, die Witwe des Regisseurs Theo Grandy. Den Film müsse man in seiner Zeit sehen, auch unter dem Gesichtspunkt Parteidisziplin, sagt Frau Grandy heute. Andere Besucher fanden den „Baumeister des Sozialismus“ zu bombastisch, zu heroenhaft, zu theatralisch.

Lotte war zur Uraufführung nicht gekommen. Sie hat wahrscheinlich in ihrem Pankower Häuschen gesessen, ihren Haß auf die Wende in den Sessel gebockt und der Frage „Wie war das mit dem Sex und mit Walter?“ einen Furz hinterhergeschoben. Jens Rübsam

Der Film im Zeughaus: morgen, 18.30 Uhr; 1. April, 20.30 Uhr.

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