■ Stasi-Urteil: Dürfen alle IM-Namen publiziert werden?: Fauler Kompromiß
Bevor das Buch von Joachim Walther über die Verstrickung von Literaturbetrieb und Stasi auf den Markt kam, platzten selbst seriöse Medien alle paar Wochen mit neuen Enthüllungen über die Stasi-Kooperation dieses oder jenes Autors heraus. Wichtig waren nicht Umstände dieser Mesalliance, sondern die Prominenz der Betroffenen, die öffentliches Interesse garantierten. Doch Joachim Walther hat sich in seiner Studie gerade nicht allein mit den großen Namen beschäftigt, sondern durch die Beschreibung von Geschichte und Struktur jener Atmosphäre aus Gerüchten, unausgesprochenen und lauthals verkündeten Verdächtigungen, die die literarische Szenerie nach 1989 vergiftete, ein Ende bereitet.
Nun hat das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom Dienstag der Klage eines ehemaligen IM stattgegeben, der sein Persönlichkeitsrecht durch die Nennung in Walthers Buch verletzt gesehen hat. Der Greifswalder Literaturwissenschaftler Müller-Waldeck bestreitet nicht die Authentizität der Akten, sieht jedoch im kommentierten Abdruck der Unterlagen seine Biographie auf die Kooperation mit der Staatssicherheit reduziert. Sollten in Zukunft also alle ehemaligen IM ein Recht darauf haben, sich vor der Veröffentlichung ihres Namens zu schützen? Hat die „Kopfjagd“ jetzt ein Ende? Die „Kopfjagd“, um mit den Worten des Anklagevertreters Eisenberg zu sprechen, hatte schon 1989 ein Ende, und der Versuch, jene, die sie veranstaltet und unterstützt haben, später juristisch zu belangen, ist gründlich gescheitert. Die öffentliche Nennung der Täter ist zunehmend zu einer Kompensation für dieses Scheitern geworden und für viele Geschädigte der Stasi-Willkür die einzig legitime Form der Genugtuung. Der Fall des Greifswalder Literaturwissenschaftlers macht die doppelte Malaise dieser Kompensationslösung deutlich: Der Einzelfall ist immer komplizierter, als es das Etikett „IM“ auszudrücken vermag, und vor der Gefahr, daß das persönliche Schicksal politisch instrumentalisiert wird, ist niemand gefeit.
Dennoch ist das Berliner Urteil ein fauler Kompromiß: Es bedeutet letztlich, daß etwas nicht gesagt werden darf, auch wenn es den Tatsachen entspricht, nur weil es für den Betroffenen unangenehm ist. Um dem Anspruch der Opfer auf Genugtuung in gleicher Weise gerecht zu werden, scheint, trotz aller Risiken, ein anderer Weg besser: alle Fakten auf den Tisch zu legen, je genauer, desto besser. Peter Walther
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