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Strammstehen vor Hedda

Das Buch zum Mythos: Jürgen Ebertowskis „Unter den Linden Nummer Eins“ und der Versuch, den Roman des Hotels Adlon zu schreiben  ■ Von Volker Weidermann

Das Adlon. Der Mythos Adlon. Glanzvolle Industrielle, glanzvolle Politiker und glanzvolle Künstler. Zigarren, dicke, Champagner, perlender, Kellner, livrierte und Séparées. Das Adlon kommt zurück nach Berlin, das glanzvolle Hotel Adlon aus goldenen Zeiten ist wieder da, um das Berlin der Jetztzeit, das grau ist, wie es heißt, wieder gold zu färben. Aber erst nach der Eröffnung im Juni.

Bis dahin muß man sich mit Literatur begnügen. „Unter den Linden Nummer Eins“ ist „Der Roman des Hotel Adlon“, wie es im Untertitel heißt, und Jürgen Ebertowskis fünftes Buch. Man kann natürlich gar keinen „Roman eines Hotels“ schreiben. Höchstens eine Romanhandlung in einem Hotel spielen lassen, vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Hotelkulisse. Das Kunststück besteht dann darin, beide Ebenen, die vordergründig fiktionale und die faktische im Hintergrund, überzeugend zu verknüpfen.

Karl Meunier ist ein Globetrotter, ein Intellektueller und – wir schreiben das Berlin von 1932 – arbeitslos. Doch Karl hat Glück und wird Hausdetektiv im Hotel Adlon. Louis Adlon, der Generaldirektor persönlich, verrät ihm seinen geheimen Auftrag: Champagner verschwindet aus den berühmten Weinkellern des Hotels. Adlon vermutet die SA dahinter. Karl soll die Beweise liefern. Dem genügt ein kurzer Blick in die Gewölbe, und schon steht der Täter fest: Kassner war's, sein alter Waffenkamerad aus Weltkrieg Eins, der uns so vorgestellt wird: „Im Krieg geht es nie sauber zu, aber Kassner hat sich benommen wie ein Schwein.“

Ganz anders Karl: „Karl hatte im Schlamm vor Verdun den Glauben verloren, daß es irgend etwas auf der Welt gab, für das es sich mit der Waffe zu kämpfen lohnte.“ Und: „Karl hatte zu hassen gelernt: Kriege und diejenigen, die sie verherrlichen.“ Da ist die Sympathielage schnell klar, und der Fall entsprechend rasch aufgeklärt. Doch die Zeiten haben sich geändert. Deutschland 1933, einen SA- Mann entläßt man da nicht mehr einfach so, ohne sich massiven Ärger einzuhandeln. Kassner bleibt also, und der Zweikampf zwischen diesen beiden, Karl und Kassner, bildet so etwas wie den roten Faden durch das Buch. Kassner stiehlt, betrügt, ist in Waffenschiebereien verwickelt, fälscht Lebensmittelkarten, macht Geschäfte mit jedem gegen alle, und Karl deckt auf, deckt auf, und kann nichts tun, denn die Zeit, sie ist gegen ihn.

Wie auch gegen das Hotel. Das Adlon im Dritten Reich wird geschildert als ein Komplex, dem von seinen Direktoren ein Kurs der widerwilligen Anpassung verordnet wird. Louis Adlon wird recht melancholisch, er leidet unter der neuen Zeit, hilft Verfolgten, wo er helfen kann, und beobachtet ansonsten die Entwicklungen aus seinem Direktorensaal: „Louis Adlon schob die schweren Brokatvorhänge zur Seite. Der Reichstag brannte noch immer lichterloh.“ Er zieht sich mehr und mehr zurück. An seine Stelle tritt die gestrenge Hedda („Vor Hedda aber stand man stramm“), die sich glänzend mit Frau Goebbels und Frau Göring versteht und das Haus durch die schweren Zeiten laviert, ohne es zur absoluten „Nazizentrale“ zu machen, wie der „Kaiserhof“ es war, auf den hier immer wieder naserümpfend hingewiesen wird.

Es tritt trotzdem noch genügend Naziprominenz auf im Hotel Adlon: Goebbels („der Bock von Babelsberg“) mietet sich als Herr Schulze ein Zimmerchen, um sich mit einer Artistin eine lustige Nacht zu machen, was Karl mit den Worten kommentiert: „Ich bin ja alles andere als ein Moralapostel, aber er treibt es wirklich wild für einen Reichsminister.“ Göring tritt auf, Himmler auch und auch Ribbentrop. Aber sie alle bleiben reine Staffage, werden nicht wirklich beschrieben.

Gar nichts wird richtig beschrieben. Die Menschen sprechen in Phrasen und leeren Formeln. Ebertowski macht sich nicht die Mühe zu erzählen. Wenn er zum Beispiel die Entwicklungen in Deutschland nach 1933 so nebenbei erwähnen will, heißt es: „Die Wandlung war schleichend und keinesfalls allseitig erdrückend, aber dennoch irgendwie täglich spürbar.“ Das ist irgendwie spürbar unerlaubt gehuschelt. Und spätestens wenn der beginnende Frühling mit „Balkonien erwachte“ umschrieben wird, möchte man Autor und Lektor gern einmal kräftig durchschütteln. Doch wenn man schon auf dem Schutzumschlag von Hitlers beginnender Kanzlerschaft im Januar 1993 [!] liest, muß man sich nicht wundern, daß das ganze Buch sehr eilig und unsorgfältig gemacht erscheint.

Man wollte wohl einfach schnell fertig werden, um der Rekonstruktion des realen Mythos, der Eröffnung des neuen alten Adlon am Brandenburger Tor, zuvorzukommen. So ist „Unter den Linden Nummer Eins“ ein Buch geworden für alle, die es nicht erwarten können mit der Rückkehr des Adlon und seiner goldenen Zeit. Wir andern warten lieber.

Jürgen Ebertowski: „Unter den Linden Nummer Eins. Der Roman des Hotel Adlon“. Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf, Berlin 1997, 354 S., 38 DM

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